von Ingeborg Schreib-Wywiorski | Ich wurde Anfang 1936 geboren. An meine frühe Kindheit habe ich keinerlei Erinnerung. Als der große Krieg ausbrach, war ich mit meinen Eltern gerade in Wien. Da war ich drei Jahre alt. Daran habe ich verschwommene Erinnerungen.
Mein Vater bekam seinen Einberufungsbefehl, war aber nie, soviel ich weiß, in einer kämpfenden Truppe, sondern kaserniert bei der Pressekompanie in Potsdam. Er trug jetzt immer Uniform. Wir durften ihn in Potsdam an Wochenenden besuchen oder er besuchte uns zu Hause. Dann arbeitete er in seinem Atelier. Ich liebte es, auf seinem Schoß zu sitzen und ihm beim Zeichnen zuzusehen, er konnte wunderbare Geschichten aus anderen Ländern erzählen, wohin er immer wieder geschickt wurde. Ich bewunderte ihn aus vollem Herzen.
Aber ich erinnere mich, dass wir ein andermal ihn in Potsdam besuchten. Wir mussten zur Seite treten, als drei Männer in Uniform auf dem Gehweg uns entgegenkamen und mein Vater plötzlich stramm stand, die Hand an die Mütze legte, „Heil Hitler“ grüßte. „Kennst Du den?“, fragte ich neugierig. Denn die Männer unterbrachen nicht mal ihr Gespräch, sondern grüßten nachlässig mit der Hand an der Mütze zurück. „Das gehört sich so“, antwortete er kurz. Fand ich nicht.
So klein ich war, empfand ich das irgendwie unterwürfig. Es war mir peinlich. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt.
Ich erinnere mich auch, wie mein Vater mir von Toledo erzählte. Das musste eine wunderschöne Märchenstadt in einem Land, das Spanien hieß, sein. Von Toledo hatte er etwas mitgebracht: ein wunderhübsches Kästchen, mit eingelegten bunten Mustern. Das bewunderte ich immer. Da war ich vielleicht vier Jahre alt. Er versprach mir, dass wir dahin zusammen fahren würden, wenn der Krieg zu Ende sei.
Als der Krieg zu Ende war, erlebte ich, wie mein Vater entnazifiziert wurde. Sehr schnell. weil sein Freund, der 1943 oder 1944 heimlich in seinem Atelier ein paar Wochen oder Tage lebte, für ihn aussagte. Ich durfte ihm immer heimlich mittags etwas zu essen bringen, aber niemandem etwas erzählen.
Durch diese Entnazifizierung wurde mir überhaupt bewusst, dass mein Vater in der Nationalsozialistischen Partei eine sehr frühe Mitgliedsnummer hatte und während des spanischen Bürgerkriegs mit der Legion Condor in Toledo war, als Kriegsberichterstatter, direkt nach der Eroberung Toledos durch die Francisten.
Ich erfuhr von dem Sohn, der gefangen war in der Burg als Geisel, damit sich sein Vater, der General war, stellte. Als ich Jahrzehnte später in Toledo war, hörte ich dort das Telefongespräch zwischen Vater und Sohn als Aufzeichnung. Darauf weigerte er sich, ausgeliefert zu werden und beschwor den Vater, nicht für ihn klein beizugeben. Der Sohn wurde daraufhin erschossen.
Das war noch vor unserem Krieg. Wie hätte ich mich wohl verhalten in einer solchen Situation? Ich wollte auch so heroisch sein, schwor ich mir.
Was machte mein Vater vor dem Zweiten Weltkrieg in Spanien? In seinen Erzählungen schien es eine große Abenteuerreise. Kein Wort über seine Tätigkeit in der Legion Condor, Sinn und Zweck der Legion Condor. Als es mir dämmerte, weil ich inzwischen Hemingway und alle bewunderte, die sich Franco entgegengestellt hatten, fragte ich ihn, warum er nicht wie Hemingway gegen Franco gekämpft hatte.
Warum er Nationalsozialist geworden war? Da grinste meine Mutter schadenfroh, denn sie war von Hause aus Sozialdemokratin: „Dein Vater ist nur so lange aktiver Nationalsozialist gewesen, bis er zum ersten Mal stundenlang während einer Parade stramm stehen musste und dabei plötzlich ohnmächtig aus der Reihe fiel. Danach war er nur noch zahlendes Mitglied.“
„ Und die Legion Condor?“ beharrte ich, ohne selbst groß zu wissen, was die Legion Condor nun wirklich war oder was sie in Spanien gemacht hatte. „Weißt du, jeder kann mal einen Fehler in seinem Leben machen!“, seufzte er. Aber so einen? Ich liebte ihn trotzdem, meinen Vater, der so viel erlebt hatte.
„Ich bin in diese Partei eingetreten, weil ich die Kämpfe zwischen Kommunisten und Sozialisten rund ums Romanische Café leid war.“ Das war damals in den zwanziger Jahren der angesagte Künstlertreff und hat bis heute seinen legendären Ruf behalten.
„Tu mir eine Liebe an, werde nie irgendein Parteimitglied!“, beschwor mich meine Mutter. Mein Vater jedenfalls bekam erst einmal Berufsverbot und musste Steine klopfen.
Autorin: Ingeborg Schreib-Wywiorski