von Günter Lucks | Wie alle anderen hatte auch ich je zwei Opas und Omas. Getreu dem Motto „Ladys first“ beginne ich mit denen mütterlicherseits.
Wenige Kilometer östlich von Hamburg liegt auf dem sogenannten Geesthang, der sich bis nach Dömitz hinzieht, der Ort Geesthacht, der bis 1937 noch zu Hamburg gehörte. Hier wurde meine Mutter geboren. Ihre Mutter hieß Alma und war naturgemäß meine Oma.
Die Familie betrieb einen kleinen Bauernhof mit etwas Kleinvieh. Der Boden war karg, aber es reichte zum Überleben.
Wie es früher so üblich war, erschien eines Tages ein Schneidergeselle, der auf Wanderschaft war. Er kam aus Staßfurt in Sachsen-Anhalt. Alma und er, also Adolf Schill, verliebten sich und heirateten bald. Seiner Verlobten schneiderte Adolf ein schönes Brautkleid.
Kurz darauf zogen die beiden nach Hamburg, wo der Opa dann einen Meisterbrief bekam. Als die Eltern starben, wurde der Hof verkauft. Olga bekam viel und die Alma weniger Geld. Aber immerhin konnte Olga sich ein Gemüsegeschäft kaufen, während Alma eine schöne, bürgerliche Mietwohnung in der Hammerbrookstraße bezog.
Dort in der zweiten Etage gab es sogar einen sogenannten „Winter-garten,“ einen Vorbau, in dem Adolf sich seine Werkstatt einrichtete.
Ganz in der Nähe, auch in der Hamburger Hammerbrookstraße, wuchs eine gewisse Hannelore Glaser auf. Die war später nicht nur die Klassenlehrerin meiner Frau, sondern wurde bekannt als „Loki“, die Frau des beliebten Kanzlers Helmut Schmidt.
Als die Bombenangriffe heftiger wurden, brachte Frau Schmidt im Rahmen der Kinderlandverschickung ihre Schülerinnen nach Österreich und nach Bayern. Meist wurden die Kleinen, wie auch meine Frau, bei Kleinbauern untergebracht, damit sie gut verpflegt werden konnten.
Opa Schill war ein überzeugter Sozialdemokrat, ging über die USPD zur KPD. Er kannte August Bebel noch persönlich.
Wenn er Geld übrig hatte, kaufte er Sondermarken zum Bau des Hamburger Gewerkschaftshauses, der „Waffenschmiede des Proletariats“, wie er das Haus nannte. Wir waren total ausgebombt. Ich meldete mich mit 16 Jahren zum sogenannten Volkssturm, wurde dann aber der Waffen-SS zugeführt. Ich bekam die Blutgruppe in den Arm tätowiert. Verwundet geriet ich in sowjetische Gefangenschaft.
Opa schrieb nach zwei Jahren an das Ministerium des Innern der Sowjetunion einen Protestbrief und nannte das Lager 7466 in Tuschino, in dem ich mich befand.
Es sei eine Schande schrieb er, dass so ein unbescholtenes Kind, wie ich, so lange für Schäden büßen müsse, die andere angerichtet hätten. Er schilderte seinen Einsatz in der KPD.
Der Brief wurde mir vom Polit-Major vorgelesen. Der war beeindruckt, entlassen wurde ich trotzdem nicht.
Ich lehnte die Fahrt in ein Schulungslager ab und kam erst 1950 wieder nach Hamburg. Opa starb schon 1948 an Herzversagen. Oma starb viel früher an Magenkrebs im Alter von 46 Jahren.
Eduard Hermann Lucks hieß mein anderer Opa. Man fand ihn als Baby „in feinstes Linnen gewickelt“ vor einer Kirchentür in Goldap im östlichen Ostpreußen. Eine Grafenkrone war in der Decke eingestickt. Wahrscheinlich war er ein „Seitensprung“ irgendeiner Hoheit.
Der Pastor nannte Findelkinder mit Tiernamen, aber weil Urkunden damals handschriftlich ausgestellt wurden, war es ein Schreibfehler oder unleserlich, da er nun nicht Luchs, wie das Tier, sondern Lucks mit „ck“ hieß.
Weiter südlich, in der Landschaft Masuren, in der kleinen Stadt Lyck, die heute polnisch ist und Elk heißt, lebte Lina Drazba, meine Oma. Der Opa fuhr eines Tages mit einer Kutsche zu einem Tanzvergnügen dorthin und lernte Lina kennen. Die beiden heirateten später. Dann ging es nach Königsberg, und Opa arbeitete dort als Kellner in einem Restaurant. 1900 fuhren sie nach Hamburg, wo der Opa eine Stelle als Kellner im vornehmen Hotel Reichshof bekam.
In Omas ostpreußischen Dialekt schlichen sich oft polnische Wortfetzen ein, wie „vschetzko jedno“, alles egal. Sie mochte gern Pferde, die sie Konjes nannte. Obwohl sie eine Deutsche war, musste sie weinen, als Hitler Polen überfiel, zumal wenn ich dazu sang: „Bomben auf Polenland!“
Opa war ein konservativer Preuße, hasste aber Nazis und Kommunisten gleichermaßen. „Alles dieselbe Wichse“ sei das, meinte er. „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?“
Wenn er bei uns zu Besuch war, sang er uns Kindern vor: „Und wenn der Alte Friedrich kommt und klopft mal auf die Hosen, dann läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen.“ Mein Vater, ein Rotfrontmann, verbat sich das Lied und war dann böse.
Opa war ein lustiger Geselle, er sang und schrieb Gedichte. Leider liebte er die „Geistigen Getränke.“ Besonders mochte er Champagner. Der war sehr teuer. Als Opa in Rente ging, reichte das Geld oft nicht aus.
Also suchte er sich eine Nebenbeschäftigung als „Reisender“, wie damals die Handelsvertreter hießen. Von einer bekannten Firma bekam er einen Koffer mit Feinkostproben.
Weil er sehr lustig war, hieß es oft : „Da kommt ja wieder der fröhliche Mettwurst-Lucks. Er nahm gern Kautabak zu sich und hatte zum Verkauf immer einige Schachteln der Firmen Grimm und Triepel und Hanewacker bei sich.
Oma starb mit 76 Jahren und musste das Bombeninferno, bei dem seine Wohnung zerstört wurde, nicht erleben.
Als ich 1950 aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, lebte der Opa noch. Wie mir seine Tochter, meine Tante Lisbeth, erzählte, kaufte er am Heiligenabend 1951 eine Flasche Sekt, trank sie halb aus, fiel lächelnd um und starb.
Silvester 1951 wurde Opa beerdigt. Ich war dabei und sagte leise: „Wo immer du hinkommst: Prost, Opa!“
Autor: Günter Lucks