von Ingeborg Schreib-Wywiorski | Im Mai 1939 wurde mein kleiner Bruder geboren, ich war zweieinhalb Jahre älter zu diesem Zeitpunkt.
Infolgedessen kann ich mich nur an das erinnern, was mir später erzählt wurde. Auch für meine Eltern lag in diesem Sommer die Kriegsgefahr in der Luft, aber keiner wusste, wann es losgehen sollte. Um vielleicht noch ein letztes Mal unbeschwert verreisen zu können und auch, damit sich meine Mutter von der Geburt meines Bruders erholen konnte, vertrauten sie das Baby ihrer Cousine Grete an.
Dann reisten sie bequem mit mir nach Wien. Dort hatte der Bruder meines Vaters einen neuen Posten als Bankdirektor übernommen. Noch heute sehe ich in einzelnen Erinnerungsfetzen die große Wohnung mit schweren Möbeln und hohen Stuckdecken vor mir. Doch plötzlich mussten wir Hals über Kopf wieder abreisen und zurück nach Berlin fahren.
Dort erwartete uns Cousine Grete, die von nun an während des ganzen Krieges bei uns war. Meine Mutter konnte sie als Pflichtjahr-Mädchen anstellen und ihr auf diese Weise die Arbeit in der Fabrik ersparen. Sie war von nun an unsere Tante Grete, die uns tröstete und oft genug Mutterstelle besonders bei meinem kleinen Bruder übernahm.
Sie half vor allem auch meiner Mutter in späteren Jahren bei den nächtlichen Bombardierungen, uns aus dem Schlaf zu holen und schnell anzuziehen sobald der Fliegeralarm begann. Dadurch kamen wir alle über die Straße noch rechtzeitig in den Luftschutzkeller.
So sehr ich mich heute anstrenge, ich weiß nicht mehr, wie uns Tante Grete verlassen hat und was aus ihr geworden ist.
Wieder ist keiner mehr da, um zu fragen. Schade.
Autorin: Ingeborg Schreib-Wywiorski