von Carsten Stern | „Das wird Ihnen noch leid tun, wenn Sie alt sind. So etwas Herzloses. Das ist uns noch nie vorgekommen. Das werden Sie noch sehen, wenn Sie selber Hilfe brauchen. Wie kann man nur so geizig sein.“
Zwei Damen einer sehr bekannten gemeinnützigen Wohlfahrtsorganisation polterten die zwei Stockwerke im Treppenhaus hinunter. Schimpften so laut und rüde, dass es auch bestimmt jeder Bewohner im Haus mitbekommen konnte – und sicher auch: sollte! – über diesen herzlosen Menschen da oben, der sich jeder Hilfe verweigerte. Wie kann man nur so halsstarrig sein, die brauchen Hilfe und der sagt einfach nein, ich gebe nichts. Das ist ja wohl die Höhe.
Mich stört das Verhalten noch heute, 30 Jahre später. Sonst hätte ich den Vorfall wohl auch nicht behalten.
An einem Sonntagmorgen zur Frühstückszeit klingelte es nämlich an meiner Wohnungstür. Ich machte auf, etwas verdutzt, denn wer kann um 10 Uhr am Sonntag schon vor der Tür stehen? Draußen standen zwei mittelalte Damen und fingen sofort wie ein Wasserfall zu reden an: „Guten Morgen, Herr Stern….“ Mein Name stand ja an der Tür, aber das plump Vertrauliche von wildfremden Menschen mag ich noch heute nicht.
Gestern kam auch so eine Dame an die Tür: „Sind Sie Herr Carsten Stern? Ja? Gerade Sie suchte ich.“ So etwas mag ich schon gar nicht, weil es in 101 % aller Fälle nicht stimmt. Dann reichte sie mir auch noch die Hand, schlapp wie ein halbfeuchter Waschlappen. Von da an brauchte sie eigentlich nichts mehr zu sagen, sie hatte schon verloren. Entsprechend schroff habe ich sie abgefertigt.
Doch zurück zu diesen beiden Sonntags-Frühstücks-Störern: sie sprudelten wie ein Wasserfall, ich hätte ja wohl von der Soundso-Katastrophe gehört, sie seien von der XY-Organisation und sammelten für die Opfer, sie brauchten nicht nur Kleidung, sondern sie brauchten vor allem Geld und ob ich nicht – Klimper-klimper mit der Dose – auch eine angemessene Spende, guter Zweck, auch etwas für die soziale Einstellung und darauf sind wir doch alle angewiesen, nur so können wir…
„Ich gebe nichts an der Haustür.“ Wie ein Bombeneinschlag war dieser Einwand. Der Wasserfall hörte auf. Aber nur kurz.
Die Programmierung der beiden war eine andere. Die neue Platte war Vorwurf: Nur kurze Verzögerung bei den Beiden, dann kam die soziale Verachtung: „Sie müssen doch eine soziale Verantwortung haben, es kann genauso gut auch Sie treffen, wir sind alle darauf angewiesen, dass Menschen helfen, wie können Sie nur …“ Das war nun nicht gerade ein Programmablauf, der das Portemonnaie öffnet. „Sie wissen doch gar nicht, was ich woanders spende!“, wagte ich zu entgegnen. Gespräch war aber nicht gefragt, zuhören auch nicht.
„Also, Sie werden sich noch umsehen, Ihnen wird es auch mal schlecht gehen, wenn Sie Hilfe brauchen, dann hilft Ihnen keiner, wie kann man nur so …“ Wild schimpfend und stampfend polterten sie die Treppen hinunter.
Die Beleidigungen dieser beiden Damen ließen mich überlegen, ob ich nicht bei dieser Organisation anrufe. Sie sollten ihre Leute doch mal gerne schulen, wie man höflich auftritt, vielleicht sogar, wie man Menschen motiviert, wenn man sie schon beim Frühstück stört. Aber am Montag war der Ärger weitgehend verraucht.
Nur denke ich auch heute noch: Sicher haben es die Menschen schwer, die an der Tür betteln gehen für soziale Zwecke. Aber sie dürften gerne in etwas mehr Ehrfurcht kommen und erst einmal fragen, ob man von dem Thema schon etwas mehr gehört habe und ob man bereit ist, noch etwas mehr zu hören. Vielleicht öffnet das verstockte Seelen und fördert sogar die Bereitschaft zum Geldgeben, wenn man woanders schon etwas gegeben hat?
Das schlechte Gewissen herbeizurufen ist noch nie gut gewesen fürs Spenden. Ich mag Bekehrungsversuche nicht hören, schon gar nicht an der Haustür, aber wenn jemand es doch versucht, soll er doch bitte die nötige Distanz halten und mir immer noch die Freiheit der Entscheidung lassen. Das war bei diesen beiden Damen und ihrem guten Zweck leider ganz anders.
Autor: Carsten Stern