von Walter Schmidt | Mein Großvater väterlicherseits, Asmus Schmidt, stammte aus Angeln.
Er war Weber von Beruf, beschäftigt in einer Weberei in Pinneberg. Ich meine mich zu erinnern, dass mein Vater mir mal erzählt hat, dass sein Vater vor dem Ersten Weltkrieg bei einer 60-stündigen Arbeitswoche 10-12 Mark pro Woche verdient hat.
Das war wohl für damalige Verhältnisse ein sehr bescheidener Lohn. Dennoch hat er es geschafft, in Pinneberg, im Kirchhofsweg, ein kleines Häuschen zu erwerben. Wie er das gemacht hat, ist mir ein Rätsel.
Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, denn er starb schon l925, vor meiner Geburt.
Meine Großmutter hat in diesem Haus noch bis zu ihren Tod 1949 allein gelebt. Sie hatte sicher nur eine sehr kleine Rente und hat ihren Lebensunterhalt verdient, indem sie für andere Leute Wäsche gewaschen hat. Da sie natürlich keine Waschmaschine hatte, war das bestimmt eine sehr harte Arbeit. Gebügelt wurde mit Setz-Bügeleisen, die auf der Herdplatte erwärmt wurden.
An der Hauswand wuchs ein Birnbaum als Spalierobst. An dessen Wurzel befand sich ein Rohr im Erdboden für die Bewässerung. Als ich als kleiner Bub mal bei ihr zu Besuch war, habe ich dieses Rohr mit gesammelten Steinchen aufgefüllt. Oma hat mich dafür ausgeschimpft.
Einen Keller hatte das Haus natürlich nicht. Stattdessen gab es im Wohnzimmer-Fußboden eine Klappe, die ein Erdloch abdeckte. Das war die Vorratskammer.
Oma hat uns in Leck (Nordfriesland) vor dem Krieg ein paarmal zu Weihnachten besucht. Öfter war wohl nicht möglich, denn wir wohnten ja weit weg und die Eisenbahnfahrt war sicher sehr teuer. Sie brachte jedes Mal einen selbstgebackenen Stuten mit, den wir sehr gerne mochten. Ein Stuten ist ein süßes Brot, ähnlich wie Klöben, aber ohne Rosinen. Was uns allerdings an ihr störte: Sie hat furchtbar geschnarcht.
Mein Großvater mütterlicherseits, August Lüdemann, war Kaufmann in Halstenbek. Er betrieb in der Poststraße erst ein Geschäft für Haushaltswaren, Eisenwaren und Baumschulartikel. Später für Kolonialwaren, Obst und Gemüse. Schließlich vermietete er auch Tafelgeschirr. Das heißt, man konnte bei ihm Geschirr, Bestecke, Tischdecken und Dinge mieten, die Leute für eine größere Feier brauchten. Er ist immer mit Pferd und Wagen nach Altona gefahren, um für seine Geschäfte einzukaufen.
Im Ersten Weltkrieg musste er natürlich Soldat werden. Oma hatte mit ihren vier Kindern noch die Geschäfte zu führen. Das ist ihr wohl über den Kopf gewachsen. Sie bekam psychische Probleme. Mit den Jahren wurde das immer schlimmer. Schließlich war sie ein Pflegefall.
Opa hat seine Geschäfte 1927 verpachtet. Als kleiner Junge habe ich meine Oma einmal gesehen. Opa hat ihre Pflege wohl schließlich nicht mehr geschafft – er hat Oma in ein Pflegeheim gebracht.
Im Jahr 1941 bekam Opa Bescheid, dass man seine Frau in ein Heim in Ostpreußen verlegt habe. Gefragt hatte man ihn nicht. Und nach kurzer Zeit, im Januar l942, bekam er Bescheid, dass Oma verstorben sei. Nach dem Krieg hat uns jemand erzählt, dass dieses Heim in Ostpreußen ein Ort „zur Beseitigung lebensunwerten Lebens“ gewesen sei.
Im Sommer 1943 war ich in meinen Sommerferien bei Opa zu Besuch. Da er kein Bett für mich hatte, kam ich bei meiner Tante nebenan unter, die drei kleine Töchter und einen kleinen Hund hatte. Der war voller Flöhe, aber Opa störte das nicht.
Opa beschäftigte sich als Hilfskraft bei einem befreundeten Bäcker in Tangstedt. Dahin fuhren wir mit Fahrrädern. Wir holten mit Pferd und Wagen Holz aus dem Wald für den Backofen. Der Bäcker hatte noch einen alten Holz-Backofen. Im Wald fand ich auch leckere Waldhimbeeren. So etwas kannte ich aus Leck nicht.
In der Nacht zum 25. Juli 1943 gab es Fliegeralarm. Es war ein Großangriff auf Hamburg. Wir saßen alle im Keller des Hauses. Ab Krupunder waren Bomben gefallen, bei Opa waren alle vier Schaufensterscheiben kaputt gegangen.
Vom Hausdach sahen wir im Süden das brennende Hamburg. Am nächsten Tag kam ein Onkel aus Pinneberg, der zusammen mit Opa die Schaufenster mit Brettern vernagelte.
Am Montagvormittag darauf bin ich mit Opa nach Hamburg gefahren. Wir wollten wissen, ob mein Onkel und meine Tante im Falkenried den Angriff überlebt hatten. Zum Glück war dies der Fall. Viele Häuser in der Hoheluftchaussee brannten aber noch. Wir haben schnell wieder die Stadt verlassen.
Zwei Tage später kam meine Mutter nach Halstenbek, um mich abzuholen. Mit gefiel das nicht, denn mir ging es ja gut. Damit waren meine Sommerferien bei Opa beendet. Er starb 1957 im Alter von 86 Jahren.
Autor: Walter Schmidt