von Karl-Heinrich Büchner | Abschiede – das ist gewiss ein immer wiederkehrendes Lebensthema, welches jeden von uns bereits im Alltag umfängt.
Zwischen den alltäglich menschlichen, allzu menschlichen Abschieden gibt es aber auch eigenartige Abschiede. Sie werfen ein Schlaglicht auf eine bestimmte historische Situation und setzen diese als Hintergrund voraus. Erzeugen Kriege, Bombardierungen, Flucht und Vertreibung bei vielen Menschen unzählige wie endgültige und unmenschliche und vor allem ungewollte wie ungeahnte Abschiede?
Stellen Sie sich vor: Es ist Anfang Mai des Jahres 1961 im Bahnhofsrestaurant einer kleinen Stadt im Osten Sachsens. „Bezirk Dresden“ hieß das damals. Ich war zu der Zeit noch keine 16 Jahre alt. Eine kleine Gruppe von vier oder fünf Jugendlichen sitzt dort zusammen und trinkt ein Bier.
Das war vermutlich etwas außerhalb der Legalität, denn sie sind erst fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Es ist jedoch kein Besäufnis, sondern nur ein Bier zum Abschied, weil einer der Jungs, wie jedes Wochenende, ins übernächste Dorf nach Hause fährt und anschließend mit Mutter und Geschwistern für zwei Wochen an die Ostsee.
Insoweit ist es nichts Besonderes, bis auf einen Umstand: der wegfahrende Junge weiß, dass die anderen Jungs nicht wissen, dass sie sich wahrscheinlich in diesem Leben nicht wiedersehen werden.
Und der wegfahrende Junge schweigt aus gutem Grund von seinem Wissen über die Bedeutung dieses kurzen Bieres zu einem vermutlich lebenslänglichen Abschied.
Die mächtige Staatssicherheit, bekannt unter der Abkürzung STASI oder, wie der Volksmund damals sagt, „Horch und Guck“, machte es zwingend notwendig, den Kreis irgendwelcher Mitwisser eines solchen Abschiedes so klein wie möglich zu halten. Es war dieses ‚Schild und Schwert der Partei‘, das einen der Jungs schweigen ließ, obwohl auf diesem landläufigen, belanglosen Abschied eine sehr bedrückende wie verschwiegene Bedeutung lag.
Ob ich aus Gewohnheit, wie es in Sachsen üblich war (das Hamburger „Moin“ gab es nicht und ein „Tschüs“ war unüblich) oder als Tarnung „Auf Wiedersehen“ gesagt habe? Ich weiß es nicht mehr.
Autor: Karl-Heinrich Büchner