von Helene Bornkessel | In meiner Klasse kamen schon 1932 einige Jungen in HJ–Uniform in die Schule. Andere trugen Abzeichen der SPD oder KPD. Bis der Lehrer kam, gab es morgens heftige politische Grölereien. „Parteipolitik ist in der Schule verboten!“, rief der Lehrer dazwischen und der Unterricht begann.
Am Tag nach der Machtübernahme begann der Schulleiter den Unterricht. „Wir haben heute einen denkwürdigen Tag. Adolf Hitler ist Reichskanzler geworden. Prägt euch diesen Tag gut ein. Ihr werdet noch lange daran denken.“ Es gab schulfrei.
Ich konnte mir einen Schlitten borgen und den Tag am Voßberg nutzen. Wir hatten reichlich Schnee, Raureif und einen blauen sonnigen Himmel. Danach wurden nur noch gemeinsame Parolen gesprochen und Nazilieder gesungen. Dass der Vater des Kommunisten abgeholt wurde, flüsterte sich herum.
Zum 1. Mai sollten wir einen Aufsatz schreiben. Der sollte aber nichts mit der Natur zu tun haben. „Ihr dürft auch Sätze aus den Zeitungen verwenden“, verkündete der Schulleiter.
Aufsätze waren nicht mein Fall, und eine Zeitung hatten wir und mehrere Nachbarn auch nicht. Eine Straße weiter bekam ich dann eine Zeitung. Da stand in großen Lettern beschrieben, wie aus dem ehemaligen Kampftag ein Feiertag für die Arbeiter wurde. Ich schrieb einige Sätze ab und fand als Schlusssatz: „Vaterland, in tausend Jahren kam dir solch ein Frühling kaum.“ Nach einigen Tagen bekamen wir die Arbeit zurück. Mein Aufsatz wurde als erster vorgelesen und war vom Schulleiter mit einer „1“ benotet worden. Ich war stolz: Es war die erste „1“ in meiner Schulzeit, außer im Turnen.
Hinterher wurde ich von den Klassenkameraden dafür gerügt. Auch als ich meine „1“ stolz im Familienkreis und bei Nachbarn zeigte, wurde ich gerügt. Ich verstand es nicht, der Schulleiter war doch zufrieden…
Im Sommer organisierte der Schulleiter dann noch einen Ausflug. Mit Lastwagen ging es nach Lübeck und Travemünde. Hierfür brachten die Hitlerjungen mit Begeisterung Hakenkreuzfahnen gut sichtbar am Wagen an. Naziparolen grölend, kamen wir von der Fahrt zurück. Etliche Eltern waren entsetzt. Der Schulleiter wurde bald an eine große namhafte Schule versetzt. Diese bekam den Namen „Hermann-Göring-Schule“.
Von dort kam ein unscheinbarer Schulleiter zu uns an die Dorfschule Tonndorf. Ihm wurden viele Schwierigkeiten gemacht, vor allem von den Hitlerjungen. Er ließ sich selten aus der Ruhe bringen. Einige Jahre nach dem Krieg erfuhr ich, dass es eine Strafversetzung war. Der unscheinbare Schulleiter kam 1945 an seine alte Schule zurück. Wo ist der andere geblieben?
Autorin: Helene Bornkessel