von Carsten Stern | Es war immer dasselbe: Wohin mit dem vielen Geld?
Nicht, dass ich zuviel Geld gehabt hätte. Doch ja, ich hatte zu viel Geld, viel zu viel. 25 Mark. Mark der DDR. Und 25 Mark der DDR waren damals in den 70er und 80er Jahren sehr viel Geld. Ein Essen im Restaurant kostete 3 bis 5 Mark, selbst ein Luxusessen kam nur auf rund 10 Mark. Und eben essen im Restaurant brauchte ich ja nicht, wenn man Verwandtenbesuche machte. Eigentlich brauchte man überhaupt kein Geld bei Verwandtenbesuchen in der DDR. Nur die DDR selbst brauchte das Geld. Von den Verwandten aus dem Westen. Also war der Zwangsumtausch Pflicht, offiziell hieß er Mindestumtausch und war an der Grenze vorzunehmen, sonst wurde man in den Staat nicht hineingelassen.
Ich kam spätabends am Freitag an und fuhr am Sonntagabend wieder zurück. Wie sollte man da Geld ausgeben. Wenn ich heute nicht gerade den Wochenendeinkauf mache, gibt man ja auch heute kein Geld am Wochenende aus, wenn man zu Hause bleibt.
Also: wohin mit dem vielen Geld. Und vor allem auch: wann? Man musste das Geld ausgeben, man durfte es nicht wieder ausführen. In den ersten Jahren nach dem Mauerbau musste man sogar noch nachweisen, wofür man es ausgegebene hatte.
Ich habe heute noch eine gute Sammlung der deutschen Klassiker im Bücherregal stehen, so manche bibliophile Ausgabe gehört dazu. Ich sah jetzt eine sehr schöne Ausgabe von Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, großformatige Ausgabe, zwei Bände im Schuber, 80 €uro. Kalter Kaffee: Habe ich in den 80ern in der Buchhandlung in Potsdam gekauft, Rostocker Verlag, keine 20 DDR-Mark. Es ist die gleiche Ausgabe, nur neu aufgelegt. Klassiker gab es zu kaufen, zwischen 5 und 8 Mark, solche bibliophilen Ausgaben schon seltener, Antiquarisches durfte man nicht unbedingt ausführen, einiges ja, anderes nein. Es gab in Potsdam ein Antiquariat, und auch dort sah ich mich oft um. Einen alten Stadtführer von Hamburg habe ich dort einmal gefunden, aus der Kaiserzeit. Über solche „ausländischen“ Städte etwas auszuführen, war unproblematisch, über Berlin oder Potsdam Bücher zu haben wäre als Ausfuhr vielleicht unzulässig gewesen.
Jedenfalls: Ich bin mit Fontane, Brecht, Strittmatter, Fühmann und mit den deutschen Klassikern bis heute gut versorgt.
Eine Schwierigkeit gab es immer: Ich hatte zum Einkaufen natürlich nur begrenzte Zeit: am Sonnabendmorgen bis 12.00 Uhr. Denn um 12 schlossen damals die Geschäfte in Potsdam. Um 12 schloss aber auch die Polizei, bei der ich mich als Westbesucher anzumelden hatte. Und dort dauerte es gerne schon mal bis zu 2 Stunden, auch wenn nur drei Westdeutsche sich an dem Morgen anmeldeten, und für anderes war die Stelle gar nicht zuständig. Die Zeit zum Bücherkauf war also überschaubar. Aber dafür gab es auch nur eine einzige Buchhandlung. Auch deren Bestand war überschaubar, und die Anordnung der Regale und der thematische Inhalt änderte sich in 20 Jahren nur sehr geringfügig. Man fand sich also schnell zurecht.
Bücher waren billig in der DDR. Bücher aus der DDR waren auch billig in Hamburg. Hier gab es sie allerdings nur an einer einzigen Stelle: in der Internationalen Buchhandlung in der Johnsallee, rechter Hand, eine Treppe hoch, im Hochparterre. Eine Buchhandlung für die linke Szene, die Kommunisten, die Intellektuellen und andere Interessenten. Zeitschriften gab es dort, natürlich eine Vielzahl von Büchern zum Marxismus-Leninismus, vom Kapital bis zu Lenin, und natürlich auch etliche sogenannte schöngeistige Literatur zeitgenössischer DDR-Literaten.
Hin und wieder war es ganz interessant, dort einmal hineinzuschauen. Was sie im einzelnen anboten und ob ich selbst häufiger dort kaufte, weiß ich nicht mehr. In jedem Falle war diese Buchhandlung ein Kontrastprogramm zum bundesdeutschen Buchhandel.
Aus dem Jahre 1984 habe ich noch eine vierseitige Anzeige dieser Internationalen Buchhandlung. Interessant: sie organisierte eine Verkaufsausstellung über Bücher aus der DDR in der Markthalle, sie zeigte eine Lesung mit Hermann Kant und Stephan Hermlin an – Namen, die keiner mehr kennt? Sie pries auch Bücher über Pädagogik und Schulbücher an – Dinge, die im Westen durchaus ihre Abnehmer fanden, galt doch das Schulsystem der DDR jenseits der ideologischen Beeinflussung als nicht schlecht.
Interessant ist auch, dass linksgerichtete westdeutsche Verlage in diesem Blatt ohne Berührungsangst inserierten: Luchterhand und Wagenbach. Und natürlich warb Hansa-Tourist mit Touristenreisen in das „interessante Reiseland DDR“.
Alles das, das war einmal. Es ist vorbei. Heute gibt es nur noch ein einziges Deutschland. Aber das Wissen über das andere Deutschland, das ist leider fast ganz verschwunden oder wird zu (Un-)Recht verklärt. Dabei gab es dort auch Gutes. Und wenn es nur die billigen Bücher waren …