von Helene Bornkessel | Bei Kriegsende mussten wir mit einer Gruppe Wehrmachtshelferinnen zu Fuß nach Hause gehen. Verpflegung, ein Fuhrwerk mit Fahrer, hatte uns der Fliegerhorst Göries bei Schwerin mitgegeben. Nur der Fahrer wurde von den Engländern in Gefangenschaft genommen. Wir Mädchen wollten wie andere Flüchtlinge auch weiter zu Fuß nach Hause.
In Herrnburg wurden wir einige Tage aufgehalten. Hier trafen wir zwei ältere Soldaten der Organisation Todt (Bautruppe). Einer fragte : „Kann ich mich Ihnen anschließen, in der Gruppe ist es sicherer. Ich könnte ja den Treckführer übernehmen.“ Wir hatten nichts dagegen, er zeigte uns seinen Ausweis, er hieß: Heinrich Koepsel. Später erzählte er, er käme aus Ostpreußen. Seine Frau sei jetzt mit vier Kindern auf der Flucht. Er hoffe, dass sie auch Hilfe finde.
Inzwischen hatte Herr Koepsel erfahren, dass in Lübeck die Brücken geöffnet werden. Also auf nach Lübeck. Dort wurden die Straßen bei den vielen Menschen, die nach Westen wollten, sehr eng.
Die Fußgänger wurden von den Wagen getrennt und die Wagenkolonne musste ziemlich flott durch das enge Holstentor fahren.
Nach Hamburg war es nicht mehr weit. Jedoch hatten die Engländer die Autobahn schon mit ihren Panzern besetzt. Wir mussten einen Bogen nach Norden machen, es durfte sich niemand in der Nähe der Autobahn aufhalten, hatte Koepsel erfahren.
Wenn wir abends in einem Dorf ankamen, ging Herr Koepsel auf die Suche, um uns und unseren Wagen gut unterzubringen. Oft brachte er auch Brot oder Marken mit. Was es in den Tagen im Überfluss gab, war Milch.
Nachdem wir für die Pfingsttage eine sehr gute Unterkunft in einem unversehrten Dorf bekommen hatten, landeten wir in Kirchsteinbek. Von dort mit der Straßenbahn nach Hamburg war nun nicht mehr weit. Ich verabschiedete mich und hatte die Adresse von meinem Bruder hinterlassen. Die anderen mussten alle noch ins Rheinland. Nach ca. einer Woche kam bei meinem Bruder eine Nachricht an. Ich sollte nach Blankenese zur Fähre kommen.
Dort traf ich Koepsel. Er berichtete mir, die Gruppe sei mit dem Gepäck schon in Neuenfelde. Nur das Fahrzeug käme nicht über die Brücken. Nun soll es mit der Fähre rüber. Wie? Das könnte ich mir ja ansehen. Es war doch nur eine Personenfähre. Das Schiff war schon sehr voll, da kam unsere Fahrerin mit Pferd und Wagen auf die Brücke. Das Pferd wurde ausgespannt und viele Hände wuchteten den Wagen über das Geländer. Nun kam das Pferd dran und auch das war schnell drüber. Auf der anderen Seite noch mal das gleiche Schauspiel. Zuschauer gab es ja auf dem vollbesetzten Schiff genug. Ich habe nicht gefragt, wie oder womit Koepsel das schaffte. Er und die Gruppe waren sehr stolz auf die Leistung und konnten jetzt weiter planen.
Ich musste mich hier endgültig verabschieden. Koepsel gab mir zum Schluss eine Karte mit einem Abschiedsgruß, die ich jetzt wiederfand.
Die Gruppe blieb noch bis Osnabrück zusammen. Dort wurden Pferd und Wagen verkauft, und sie konnten mit dem Zug nach Hause fahren.
Von Heinrich Koepsel bekam ich einige Monate später eine Nachricht. Er hat seine Familie gefunden. Aber der kleine Sohn ist auf der Flucht gestorben, und die große Tochter kam nach Sibirien und verstarb dort. Er hatte ein Baugeschäft eröffnet und lebt in Dessau.
Autorin: Helene Bornkessel