von Claus Günther | „Der war hinterher sooo klein, mit Hut!“ Ein alter Spruch, eine überholte Aussage. Hüte sind heutzutage nicht mehr so wichtig, zumindest Männerhüte nicht – von Ausnahmen abgesehen, beispielsweise Zylinder.
Als ich heranwuchs, war das noch anders. Die lange Hose zur Konfirmation war ein Muss, doch im Ranking gleich danach folgte der Hut. Man – man? Ja, der junge Mann, der man war, nämlich ich, hatte als Hutträger die Chance, mit „Sie“ angeredet zu werden, und damit war „man“ doch schon fast erwachsen.
Nun war aber 1946 eine schlechte Zeit für Hüte, wenn man ausgebombt war, so wie wir. Meine Mutter und meine Großmutter gingen, nachdem es endlich wieder Dauerwellen gab und die „Entwarnungsfrisuren“, bei denen die Damen ihre langen Haare hinten hochrafften und vorne irgendwie feststeckten, ausgedient hatten, zur Putzmacherin. Die Putzmacherin formte Damenhüte um und dekorierte sie. Sie war das weibliche Gegenstück zum Hutmacher, der sich um Herrenhüte kümmerte. Einmal allerdings fischte die Putzmacherin sozusagen im fremden Revier: Meine Mutter überredete sie, einen grünen Filzhut mit Kordel für mein jugendliches Haupt umzupressen. Das wurde mein erster Hut. Kerzengerade bin ich damit durch die Gegend stolziert und habe ihn grüßend vor allen Erwachsenen gezogen – selbst vor jenen, die ich vorher nie gegrüßt hatte. „Übrigens: Man geht nicht mehr ohne Hut!“, hieß ein Werbespruch aus den 50er-Jahren. Den habe ich schon 1946 beherzigt!
Schlecht aber sah es mit Mänteln aus. Im Sommer hatte es sich ergeben, dass ich bei einem Spaziergang mit meiner Tanzstundenfreundin Elsie auf meinen Vater traf. Selbstbewusst machte ich beide bekannt. Inzwischen war nun der Winter gekommen. Ich ging noch zur Schule; mein Vater, arbeitslos, blieb meistens zu Hause, außer bei kleinen Besorgungen oder Arztbesuchen. Es ging auch nicht anders – entweder er war unterwegs oder ich, und das hatte einen ganz simplen Grund:
Eines Tages war ich wieder mit Elsie verabredet, und die berichtete mir etwas erstaunt, sie habe am Tag zuvor meinen Vater gesehen. „Und stell dir vor“, fuhr sie fort, „der hatte deinen Mantel an!“ „Nein“, korrigierte ich sie. „Wir haben nur einen Mantel gemeinsam, nämlich den, den ich heute trage. Aber es ist seiner.“
Autor: Claus Günther