von Wilhelm Simonsohn | Mit den Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols habe ich als weitgereister Mensch inner- und außerhalb der deutschen Staatsgrenzen recht unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
Im Winter 1945/6 war „Kohlenklau“ überlebensnotwendig geworden. So bin auch ich, in der Nähe des Altonaer Bahnhofs zu Hause, im Schutze der Dunkelheit, zum Lokomotiv-Schuppen gewandert und habe aus den Tendern der dort abgestellten Lokomotiven Kohlenreste zusammengeklaubt. Bei einer solchen Aktion erwischte mich der Strahl einer Taschenlampe. Meine Flucht endete in einem Wartungsschacht, auf dessen Boden ich „blutüberströmt“ liegengeblieben war.
Zwei Bahnpolizisten, die mich entdeckt hatten, halfen mir wieder auf die Beine und waren offenbar froh, dass ich keine Frakturen erlitten hatte. Sie brachten mich aus dem Bahnhofsgelände hinaus. Der Gipfel der Menschlichkeit in dieser Situation war, dass hier einer der beiden Polizisten mir auch noch meinen halbvollen Kohlensack in die Hand drückte.
Jahre später, meine Zwillingstöchter waren wohl gerade neun Jahre alt, fuhren wir mit unserem Auto (VW-Käfer mit Dachgepäckträger) Richtung Italien und überfuhren den Brennerpass bei strömendem Regen. Der italienische Grenzpolizist stempelte unsere Pässe ab, und der Weiterfahrt stand eigentlich nichts mehr im Wege.
Nun kamen unsere kleinen Töchter ins Spiel. Sie hatten nämlich für ihren Teddy einen Pass-Ersatz angefertigt mit gemaltem Bild und den sonst üblichen Daten. Unter den „Besonderen Kennzeichen“ stand: „Er ist sehr klein und so süß“. Auch sie wollten für ihren Teddy diesen Stempel haben. Der freundliche und offenbar kinderliebe Grenzbeamte nahm – immer noch bei strömendem Regen – diesen Pass-Ersatz an sich, lief in sein Büro und brachte den Teddy-Pass zur großen Freude unserer Töchter abgestempelt zurück.
Jahre später hatten meine Frau und ich uns einen weißen Opel „Manta“ zugelegt. Hier spielte zugegebenermaßen das Thema „Auto als Statussymbol“ eine gewisse Rolle, da dieses Auto über vier Scheinwerfer und eine Abrisskante am Heck verfügte. Dieses Gefährt war der Begleiter bei zwei Reisen, die uns ins südöstliche Europa führten.
Das war einmal eine sogenannte „ADAC-Package-Tour“, eine Reiseform, die so gestaltet war, dass die Übernachtungshotels auf einer bestimmten Route bereits gebucht waren. Es war den Autofahrern überlassen, den Zeitpunkt der Abfahrt und Ankunft selbst zu bestimmen.
Eines dieser Ziele war Timisoara („Eisernes Tor“) in Rumänien, in der Nähe der Donau gelegen. Einige Wochen vor Antritt dieser Reise hatten meine Frau und ich im Fernsehen zur Kenntnis genommen, dass der jugoslawische Präsident Milosevic und der rumänische Präsident Ceausesco (zwei üble Despoten) einen neuen Grenzübergang eingeweiht hatten. Das veranlasste uns, als einzige der Fahrtteilnehmer, eine westlich der Donau liegende Route zu wählen, um dann an diesem Übergang die Grenze nach Rumänien zu passieren. Für die Grenzbeamten waren wir wohl die ersten westeuropäischen Autofahrer, die den neu eingeweihten Grenzübertritt nutzten. Das ging folgendermaßen vor sich: Ein hochgewachsener Offizier ließ von zwei Polizisten eine Bank herantragen, auf die wir unsere geöffneten Koffer stellen mussten. Der Inhalt wurde von diesem Offizier genau inspiziert, wobei er selbst kein Gepäckstück berührte. Nach etwa einer halben Stunde stand einer Weiterfahrt zu unserem Zielort Timisoara nichts mehr im Wege.
Mit den übrigen Reiseteilnehmern tauschten wir dann in einem Biergarten am späten Nachmittag unsere Erfahrungen aus. Da taucht mit einem Mal dieser uns bekannte Offizier auf, geht auf meine Frau zu, von der er wusste, dass sie französisch sprach und entschuldigte sich in perfektem Französisch für die Unannehmlichkeiten, die er uns bereiten musste. Er verabschiedete sich hackenklappend und mit Handkuss (!) von meiner Frau.
Das alles im damals noch „lupenreinen“ kommunistischen Land Rumänien.
Eine weitere Reise führte uns in die Tschechoslowakei. Wir hatten in der Hohen Tatra – der Ort hieß Strbske Pleso – ein Zimmer gemietet und machten eines Tages einen Ausflug mit unserem Auto, dem weißen Opel-Manta, in die Niedere Tatra. Auf der Rückfahrt passierten wir in der Nähe der Provinzhauptstadt Poprad eine größere Ansammlung von jungen Menschen (Komsomolzen?), die sich in Richtung Flugplatz noch verdichtete. Was war der Hintergrund? Erwartet wurde eine Maschine, die den Präsidenten Husak und einen Staatsgast namens Fidel Castro (!) an Bord hatte. In Richtung Flugleitung war eine Kompanie Soldaten aufgestellt, die eine eingehakte Mauer bildeten, hinter der sich viele der jungen Menschen postiert hatten.
Auf einem großen Parkplatzgelände standen sechs sog. „Tatra“-Limousinen, schwarze bullige Staatskarossen mit Heckmotor. Und nun landete eine „Tupolow 132“, und aus dem Flugzeug quollen heraus die beiden Präsidenten mit Gefolge. Fidel Castro im üblichen „Kampfanzug“. Die Kinder hinter der Soldatenkette durchbrachen diese und strömten auf die beiden Präsidenten zu, wobei die Soldaten vergeblich versuchten, die Kinder einzeln einzufangen. In diesem Chaos ragte die imposante Figur des kubanischen Staatspräsidenten hervor, der die ihm entgegengestreckten Hände zur Begrüßung erfasste. Ich konnte mir nicht verkneifen, obwohl meine Frau mich daran hindern wollte, mich in dieses Begrüßungschaos einzumengen und hatte das (zweifelhafte) Glück, einen Händedruck von Fidel Castro zu erleben.
Wie wir erfuhren, hatte sich Fidel Castro ausbedungen, mit Komsomolzen im Waldgürtel der Hohen Tatra ein Biwak abzuhalten. Zuvor fuhr die Autokolonne, begleitet von Motorrädern, am spät gewordenen Nachmittag bei einsetzendem Nieselregen ins „Grand Hotel“ in Strbske Pleso. Und nun passierte Folgendes: Die Tatra-Limousinen setzten sich mit Motorradbegleitung in Richtung Strbske Pleso in Bewegung, dem Ort, wo wir ja auch ein Zimmer gemietet hatten. Der Motor der letzten Tatra-Limousine sprang nicht an. Die Kolonne hatte sich trotzdem in Bewegung gesetzt und wir hatten uns mit unserem „schneeweißen“ Opel-Manta als Letzte dieser Kolonne angeschlossen.
Im Rückspiegel hatte ich dann bemerkt, dass die letzte der Tatra-Limousinen, begleitet von Motorrädern zur Kolonne aufschloss. Auf diese Weise kam eine Kolonne zustande, die aus fünf schwarzen „Tatra“-Limousinen, einem schneeweißen Opel-Manta und einer sechsten Tatra-Limousine bestand nebst Motorradbegleitung. Das hatte zur Folge, dass die an den Straßenrändern stehenden Fahnen schwingenden Komsomolzen bei den schlechten Sichtverhältnissen des Nieselregens glaubten, dass der Staatsgast wohl in dem einzigen schneeweißen Auto sitzen musste und ihm besonders intensiv zuwinkten.
Meine Frau konnte nicht umhin, obwohl sie die Gesamtsituation für äußerst bedenklich hielt, dass Fähnchen-Wedeln mit einer Geste zu erwidern, die sie wohl einmal bei der englischen Königin gesehen hatte.
Am Ende dieser Geschichte stand ein Kontakt mit tschechischen Zivilfahndern, die zum Bodyguard der beiden Präsidenten gehörten und die im Foyer des Grand Hotels stationiert waren. Und ausgerechnet an diesem Abend hatten meine Frau und ich das Bedürfnis, im Restaurant dieses Grand Hotels zu Abend essen zu wollen (das ist natürlich nicht ernst gemeint!). Wir machten uns sozusagen spaßeshalber auf den Weg dahin und wurden von zwei Polizisten in Zivil gestoppt, die uns am Betreten des Foyers hindern wollten. Wir gaben unsere Verwunderung zum Ausdruck, weil wir ja doch jeden Abend hier zu speisen pflegten (was natürlich gelogen war).
Die Reaktion eines der beiden Polizisten, die er auf Deutsch (!) sprach: „Bitte machen Sie uns keine Schwierigkeiten!“ Unsere aus der sog. „DDR“ stammenden Urlauber konnten nur den Kopf schütteln über die Dreistigkeit der sog. „BRD“-Bürger.
Autor: Wilhelm Simonsohn