von Lore Bünger | Haben Sie heute am „Stand“ ein Paar Wiener Würstchen gegessen? Und waren diese wirklich aus Wien? Oder waren sie von einem armen Schwein aus Flensburg? Mit Gen-Futter voll gestopft, mit Wachstumshormonen um eine schöne, lange Jugendzeit betrogen und mit Antibiotika auf Vordermann gebracht?
Diese Sorgen hatten wir vor 80 Jahren noch nicht. Unsere Bauern zogen ihre Tiere noch sehr artgerecht auf, und nach der Wirtschaftskrise und Inflation 1923 baute sich so mancher Gartenbesitzer neben einem Hühnerstall auch einen kleinen „Kofen“, um ein eigenes Schwein fett zu machen, bis es „reif“ für ein zünftiges Schlachtfest war.
So hatte auch mein Vater vorgesorgt, für zwei bis drei Monate zog ein junges Schwein in diesen Kofen und wurde für die Versorgung unserer Familie groß gefüttert. Vor Einbruch des Winters konnte dann das große Schlachtfest gefeiert werden.
Ich war fünf Jahre alt und wurde an jenem Morgen zu meiner Großmutter gebracht, damit ich dies Drama nicht miterleben musste. Als sie mit mir gegen Mittag zurückkam, hing das ausgenommene Schwein an einer Leiter, so wie ich es bei unserem Schlachter schon gesehen hatte.
Somit war es für mich nicht „unser“ Schwein, und durch das Erlebnis des „Wurstmachers“ wurde ich total abgelenkt. Tante Alice, die Schwester meines Vaters, stand vor einer großen Waschwanne im Keller und knetete den Mettwurstteig, meine Mutter, die als Stadtmensch blutiger Laie war, bediente den großen Fleischwolf und sorgte für Mett-Nachschub. Tante Alice streute Salz und Pfeffer in die Masse, knetete wieder und nahm dann eine ganze Hand voll in den Mund zum probieren. Kein Wunder, dass sie so dick war, denn zu Schlachtfesten wurde sie in der Familie und Nachbarschaft „herumgereicht“. Ihre Wurstrezepte waren die Besten im ganzen Dorf. Onkel Lorenzen, Schlachtermeister, brachte die beiden Schinken in den Keller. Dort hatten wir eine Räucherkammer, in der Schinken und Würste fachgerecht geräuchert wurden. Der große Waschkessel wurde sorgfältig geschrubbt, einige Eimer Wasser wurden eingefüllt und zum Kochen gebracht für das so genannte fette Wellfleisch, das nach getaner Arbeit als Schlachtfest-Spezialität mit viel Senf und Pellkartoffeln gegessen wurde.
Es wurden natürlich auch Leber-, Blut- und Kochwürste zubereitet. Pökelfleisch wurde gemacht, ich weiß nicht wie, und in großen Steinkrügen mit Schmalz hatten wir Vorrat für den ganzen Winter.
Schlachtfest war früher so populär, dass wir sogar in unserer „höheren Mädchenschule“ noch im November 1934 einen Aufsatz „Schlachtfest“ schrieben. Und besonders wichtig wurde so ein Schwein während und erst recht nach dem Krieg, als wir vor Hunger nicht mehr in den Schlaf kamen und die Tiere „schwarz“ geschlachtet wurden, wofür man unter Umständen in den Knast kam.
Heute gibt es die Wurst von Aldi oder Lidl und keiner weiß, was drin ist.
Autorin: Lore Bünger