von Waltraut Ullmann | Meine Großmutter Helene, geb. Kubitzki, wurde am 15.09.1881 in Grabau/Thymau bei Marienwärder als jüngstes von vier Kindern geboren. Sie war sehr verwöhnt und eigenwillig und ist es ein Leben lang geblieben.
Sie heiratete sehr jung Wilhelm Waschke. Sie bekamen 7 Kinder, 5 Mädchen und 2 Jungen. Meine Mutter war die Drittälteste.
Es ging meiner Großmutter finanziell recht gut. Gelernt hat sie nichts, und wie überliefert wurde, fuhr sie oft mit der Kutsche spazieren. Dann wollte sie ihren Mann nicht mehr und ließ sich von ihm scheiden. Ihre Eltern starben, und sie hat Häuser geerbt.
Es ging ihr gut bis zur Inflation. Da sie ja nie rechnen konnte und keine Ratschläge annahm, war sie in kurzer Zeit arm wie eine Kirchenmaus.
Aber sie hatte ja 7 Kinder und hat immerhin dafür gesorgt, dass alle etwas gelernt haben, meine Mutter z. B. Blumenbinderin (heute hieße es Floristin).
Am Zahltag der Kinder stand sie bei den Arbeitgebern und ließ sich das Geld geben. Ob bei allen, weiß ich nicht genau, aber auf jeden Fall bei meiner Mutter.
Meine Großmutter war mit der Schwester meines Vaters befreundet und hörte von ihr, ihr Bruder August sei jetzt in Hamburg, dort verdiene man mehr.
Meine Großmutter hat sofort angeordnet, dass meine Mutter und ihre ältere Schwester nach Hamburg fahren sollten, und der Bruder ihrer Freundin sollte dort auf sie aufpassen. Na ja, der Bruder war mein Vater und hat die Aufgabe ganz ernst genommen, d.h. er hat meine Mutter geheiratet. So hatte Oma sich das nicht gedacht.
Sie fuhr hinterher und wollte von meiner Mutter das verdiente Geld haben. Aber nun war mein Vater da, der sagte „So nicht, Helene“.
Inzwischen waren alle Kinder von ihr in Hamburg. Sie selbst wohnte in Hamburg-Harburg. Aber sie fuhr genauso oft zu ihren Kindern und lebte bei Tochter oder Sohn, bis es Ärger gab, dann fuhr sie zur nächsten.
Meine Oma hatte ebenso sehr viel gute Seiten; sie war sehr großzügig, schenkte gern, und wenn meine Eltern etwas vor hatten, war sie immer da, war recht lieb zu uns und passte gern auf uns auf. Was ich schrecklich fand: Wenn sie sich bei uns längere Zeit aufhielt, schlief sie in meinem Bett. Normalerweise nicht schlimm, aber sie roch so schrecklich.
Einmal hat sie bei uns in der Waschküche Wäsche gewaschen und den Holzzuber in der Mitte des Raumes stehen gelassen. Am nächsten Morgen hatte ich es wie immer eilig, um den Schulbus nicht zu verpassen. Ich stolperte im Dunklen über die Holzbalge und schlug mir am kantigen Rand die Stirn auf. Die Narbe habe ich heute noch.
Wenn wir zu Oma zum Kaffeetrinken fuhren, mussten wir auch Kaffee trinken. Wenn wir die Hand über die Tasse hielten, weil wir nicht mehr wollten, hat sie durch die Finger durchgegossen. Ja, so war Oma.
Ihr Leben lang war sie ohne Mann – vielleicht hatte sie ja heimlich jemand, aber das weiß ich nicht. Mit 84 Jahren hat sie dann aber noch einmal geheiratet und mit ihrem neuen Mann, der 10 Jahre jünger war, noch 5 Jahre zusammengelebt.
Sie nahmen sich eine größere Wohnung mit einer neuen Küche. Dann starb ihr ältester Sohn, und sie wurde von dem Haus in Hausbruch Haupterbin. Da ihr Mann kurz danach an Krebs starb, hat sie von dem Geld eine feudale Grabstätte gekauft – und dann starb sie mit 89 Jahren.
Ihr Mann war übrigens vorher verheiratet und meine Großmutter mit beiden jahrelang befreundet, bis die Frau starb.
Wir fanden es im Nachhinein ganz richtig, dass die beiden zusammengezogen sind, dadurch war keiner so alleine.
Aber meine fromme Helene sagte: Zusammenziehen ja, aber nur mit Trauschein. Was blieb ihm übrig, als zuzustimmen.
Autorin: Waltraut Ullmann