von Harald Schmidt | 1980, unser Sohn war 10 Jahre alt und begeisterter Modellbahner, wollten wir meine Oma in Ostberlin besuchen und zwar spontan mit einem Tagespassierschein ohne langwierige Anmeldung. Wir schrieben, wann wir kommen würden. Schlafen konnten wir bei meinem Cousin in Berlin-Neukölln, also im Westteil der Stadt. Wir flogen früh morgens mit der Fluggesellschaft PanAm nach Tempelhof, brachten schnell unsere Sachen in unser Quartier und dann ging es mit der Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße.
Was hatten wir dabei. Im DDR-Verständnis „Luxusgüter“ – Südfrüchte, Kaffee, Schokolade usw.. Ich glaube, wir mussten es deklarieren, d.h. alles aufschreiben, und es durfte nur dem persönlichen Bedarf der Gastgeber dienen.
Wie bereits gesagt, unser Sohn war Modellbahner. Die DDR hatte eine Spielwarenindustrie mit teilweise sehr guten Modellen, die es in dem Land nicht oft, nicht überall und manchmal gar nicht zu kaufen gab. In Berlin-Köpenick gab es einen kleinen freien Modellbahnladen, in dem wir unser Umtauschgeld einlösen wollten. Meine Oma hatte den Inhaber schon „vorgewarnt“, denn sie war Stammkundin. Bei uns in der Bundesrepublik gab es diese Teile in den Fachgeschäften zu kaufen. Die Kataloge der einzelnen Anbieter wie Fleischmann, Märklin, Trix, Roco und wie sie sonst noch hießen, gehörten zum Standard in der Auslage. Auch der vom DDR-Unternehmen „VEB Piko“ in Sonneberg, der Importeur war die Firma Schreiber.
Dieser Katalog, natürlich in Farbe, lag zuunterst in unserer Tasche.
Bei Tageslicht betraten wir den Bahnhof an der Einreiseseite. Den Wegweisern folgend, gingen wir durch ein unterirdisches Labyrinth. Irgendwo musste ein Formular mit warum, wieso, weshalb ausgefüllt werden. Irgendwie gab es Verständigungsprobleme mit der Staatsangehörigkeit. Deutsch BRD, Bundesrepublik Deutschland, irgendetwas war immer falsch.
Endlich kamen wir in den Abfertigungsraum. Ein langer, nach beiden Seiten abgeteilter Gang, führte uns zum Abfertigungs- und Kontollschalter. Meine Güte, unten Spiegel, oben auch und zwei weitere Grenzer außerhalb der „Bude“. Nach gründlicher Musterung „durften“ wir weitergehen, um gleich danach von einer nicht sehr freundlich aussehenden Grenzkontrolleurin in Empfang genommen zu werden.
Zuerst die Frage (stark sächsisch gefärbt) nach Druckerzeugnissen, die von mir mit nein beantwortet wurde. Wir wurden aufgefordert, die Tasche zu öffnen und mussten alles auspacken, zuunterst lag der Eisenbahnkatalog. Oje, da hatte die Dame ja etwas in der Hand was wir nicht angegeben hatten. Sie fing an zu blättern, Seite für Seite, immer langsamer werdend. Das brauchte seine Zeit. Innerlich wäre ich vor Lachen bald geplatzt, da ich ahnte, was kam. Auf der Rückseite dann die Erlösung als sie las: VEB Spielwaren Piko Sonneberg, gedruckt in GDR. Das Gesicht hellte sich auf, blieb aber verkrampft. Mit den Worten: „Das ist ja von uns“, gab sie das Heft zurück, wünschte einen guten Tag und brachte uns schnell, sehr schnell zum Ausgang.
Eigentlich tat mir die Frau leid. Die schönsten Eisenbahnmodelle im Katalog (den es in der DDR nicht gab) und die Fahrzeuge aus der eigenen Produktion, kaum zu bekommen, da für den Export in den Westen – nicht einmal als Zweite-Wahl-Artikel. Das musste schon traurig oder wütend machen.
Diese Begebenheit macht uns heute noch nachdenklich, jedoch mit einem Lächeln. Mulmig war uns damals trotzdem. Angstgeruch lag in der Luft. Auf dem Bahnsteig der S-Bahn löste sich die Beklemmung langsam, sodass wir dann doch fröhlich am Ziel ankamen.
Autor: Harald Schmidt