von Karl-August Scholtz | Ob alle heute unter uns lebenden Kinder sich noch einen Begriff vom „Fräulein“ machen können, möchte ich bezweifeln. Aber ich habe mir durch eigene Begegnungen schon in meiner Kinderzeit – die ist 80 Jahre her – eine eigene Meinung gebildet.
Bis in die siebziger Jahre wurden unverheiratete weibliche Personen mit „Fräulein“ angeredet und auch so angeschrieben. Ältere Schulkameradinnen damals waren so selbstverständlich „Fräulein“ wie die meisten weiblichen Lehrlinge, heute „Auszubildende“. Aber auch alte Damen konnten noch „Fräulein“ sein. Insbesondere erinnere ich mich dabei an Lehrerinnen. Und solche schon betagten Fräulein, die ich kannte, waren in der Regel stolz auf sich.
Nach meinem damaligen Gefühl erinnere ich die Anrede „Frau“ oder „Fräulein“ als auf etwas unterschiedliche Menschentypen. Das ältere „Fräulein“ wies für mich auf einen enthaltsam geführten und sparsamen Lebenswandel hin. Es gab viele „Fräulein“, denn Männer waren durch die Kriegsverluste in den Weltkriegen eine „Mangelware“, weshalb zwangsläufig viele heiratswillige Damen ledig bleiben mussten.
Doch wenn meine Eltern zu mir, dem „kleinen Jungen“ damals, sagten, heute gehen wir zu „Fräulein“ X, dann läuteten bei mir schon Alarmglocken. In meiner Erinnerung erschienen mir Wohnungen dieser Damen als steril. Da hieß es für mich auch ganz brav, still und gerade auf dem Stuhl sitzen, nicht in das Zimmer zu gucken, nicht ungefragt zu sprechen. Gingen wir zu einer „Frau“, ja, da war alles lockerer. Es wurde sogar gemeinsam gelacht und ich durfte erzählen, was mir auf der Seele lag. Aber solches meistens nicht bei einem „Fräulein“. Ausnahmen hierzu erinnere ich aus meiner Kinderzeit natürlich auch, aber nur wenige.
Nach dem Pubertätsalter war es natürlich interessant zu wissen, ob „Mann“ mit einer verheirateten oder unverheirateten Person zusammen war. Die Frauen konnten das bei uns nicht erkennen.. Wir waren eben der „Herr Soundso“ und es gab kein Herrlein und kein Männlein, ausgenommen das lyrische Männlein, das im Walde steht. In der heutigen Zeit mit den „Lebensgemeinschaften“ ist ein Unterschied zwischen „Frau“ und „Fräulein“ wohl als absurd zu bezeichnen. Weder das weibliche noch das männliche Geschlecht kennt heute einen Unterschied in der Anrede.
Bei dieser Gelegenheit kommen mir aus der Zeit der Umwertung Presseberichte über eine Beamtin wieder in den Sinn, die einen Gleichberechtigungsprozess anstrengte, weil sie nicht als „Frau“, sondern als „Dame“ angesprochen und sogar von Behörden so angeschrieben werden wollte. Sie ging durch viele Instanzen und hat keine Befürworter gewonnen, aber auch keinen ihrer Prozesse. Es störte sie, dass männliche Menschen vornehm als „Herr“ und die weiblichen nur mit „Frau“ angeredet werden sollten.
Anstatt, dass womöglich ein „Herrlein“ dazu kam, ist das „Fräulein“ endgültig verschwunden. Richtig so, meine ich!
Autor: Karl-August Scholtz