von Astrid Wörn | Was tun, wenn wir Übergriffe auf Menschen erleben?
Was sind Übergriffe und wo passieren sie? Überall. Auf dem Schulhof. In der U-Bahn. Auf der Arbeit. Im Verein. In der Nachbarschaft.
Übergriffe können verbal sein oder handgreiflich, versteckt intellektuell oder offen feindlich.
Ein Kurzfilm von Lukas Nathrath, „Kippa“:
Eine Lehrerin fragt im Philosophie-Kurs einer Oberstufe nach den verschiedenen Religionen. Christlich, muslimisch, jüdisch.
Als ein jüdischer Schüler von der Synagoge erzählt, beginnt es zunächst unauffällig mit Mimik und Gestik über die Schulbänke hinweg. Danach verändern sich Sprache und Verhaltensweise. Erste übergriffige Taten wie Anrempeln und Auslachen folgen.
Der betroffene Schüler glaubt zunächst nicht, was er hört und sieht, er kann es nicht mit seinem bisherigen Leben in Verbindung bringen. Der beste Freund schließt sich einer Gruppe von drei anderen Schülern an, die nun im Unterricht offen übergriffig und in den Pausen gewalttätig werden.
Die Lehrerin schaut weg, die Mädchen der Klasse beteiligen sich am Zettelchen weiterreichen mit Verunglimpfungen der jüdischen Kultur. Der Schüler wird über den Schulhof in die Toilette getrieben und dort misshandelt. Als seine Mutter schwere Blutergüsse auf dem Rücken findet, wehrt sich der Junge und will nicht, dass die Mutter etwas unternimmt.
Als der Junge dann durch eine perfide Finte zu einem angeblichen Sportevent eingeladen wird, muss er dort die jüdische Fahne verbrennen und die Gruppe singt dazu verhöhnende Lieder. Nun endlich geht die Mutter zum Schulleiter, der keine Zeit hat, die Lehrerin sah nie etwas. Über dem Eingang der Schule steht in großen Lettern: weltoffen. Der Schüler bleibt zu Hause, liegt tagelang im Bett, wird terrorisiert über sein Smartphone.
Dann steht er eines Morgens auf, setzt sich die Kippa auf und schreitet über den Schulhof in die Klasse. Er und ein anderer Schüler stehen sich minutenlang schweigend gegenüber. Der blanke Hass in den Augen des einen, im Blick des Betroffenen eine Befreiung von Angst. Er geht zu seinem Platz und setzt sich. Die Lehrerin steht hilflos im Raum.
Die Mehrheit schweigt.
Am Ende verlässt der gescheiterte Freund die Gruppe und beide gehen gemeinsam vom Schulhof.
Vielleicht ein Lichtblick. Vielleicht das bittere Ende einer Schülerfreundschaft. Open End und kein bedauerlicher Einzelfall, wie es uns immer noch so gern glaubhaft gemacht werden soll.
Deutscher Alltag und das im 75. Jahr nach den NS-Verbrechen und zwei Weltkriegen.
Die Frage steht im Raum: was tue ich, wie verhalte ich mich? Niemals selbst in Gefahr bringen, aber die Augen offenhalten und sofort und unverzüglich Öffentlichkeit suchen, wenn andere Menschen ausgegrenzt und an Seele und Körper beschädigt werden. Empower hilft und berät.
Autorin: Astrid Wörn
Empower.
Beratungsstelle für rechte, rassistische und antisemitische Gewalt
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Für Betroffene und Zeugen.