von Harald Schmidt | Im Juni 1989 wollten wir meine Oma in Ostberlin zu ihrem Geburtstag besuchen. Das hieß, einen Brief an sie schreiben und darin unseren Besuchswunsch äußern. Jetzt musste sie los zur Volkspolizei und einen Besuchsantrag stellen. Das war einige Wochen vorher nötig, denn da waren seitens der Genehmigungsstelle „bestimmt viele Details“ zu klären. Dann erhielten wir unser Einreisedokument per Post.
Zu der Zeit hatten wir einen roten Lada-Kombi. Unsere Einreise erfolgte über den Grenzübergang Zarrentin. Von den mindestens 12 Abfertigungsbahnen waren immerhin zwei geöffnet, natürlich mit langen Schlangen daran. Nach einem langsamen Vorrücken kamen wir an die erste Station. Zuerst wurden unsere Pässe (die waren erforderlich) und wir genau begutachtet und miteinander verglichen. Es hätte ja ein Stempel von Israel oder anderen „Feindstaaten“ darin sein können. Die Unterlagen gingen dann per Laufband in ein Gebäude. Als wir dieses Häuschen erreicht hatten, wurden wir erneut begutachtet und bekamen einen Fahrzeugkontrollplatz zugewiesen.
Dort erwartete uns ein Grenzpolizist – höflich, distanziert und wortkarg. Die erste Frage war: „Haben Sie Druckerzeugnisse, wie Zeitungen oder Magazine dabei?“ Außer unseren Landkarten von Europa – Fehlanzeige. Da wir
Geschenke mitführten, wurde natürlich auch alles von innen angesehen. Koffer und Taschen öffnen, Teile zur näheren Begutachtung herausnehmen, vorzeigen und wieder zurückgeben. Wir erlebten kein eigenmächtiges hineinfassen in unsere Dinge. Rückbankumklappen – auch durch uns – war obligatorisch, genau wie der Blick in das Handschuhfach. Dann, nach ca. 2 Stunden, durften wir mit einem „Angenehmen Aufenthalt in der DDR“ auf die Autobahn nach Berlin rollen. Das heißt, zuerst musste noch Geld getauscht werden. Pro Aufenthaltstag 25 DM in 25 Ostmark, Opernkarten lösen, sagte meine Oma immer.
Irgendwo fuhren wir auf einen Parkplatz, um uns die Beine zu vertreten. Als ich zu meiner Frau sagte, dass bestimmt gleich ein Polizeifahrzeug zur Beobachtung in unsere Nähe kommen würde, war es schon da. Die Insassen wussten wohl, dass wir Einreisepapiere hatten und keine Transitreisenden waren, denn sonst hätten sie sich bestimmt bei uns gemeldet. Mit dem Fernglas wurden wir trotzdem beäugt.
In Berlin angekommen war eine Anmeldung im zuständigen Volkspolizeirevier nötig. Bei 3 Tagen Aufenthalt konnten wir die Abmeldung auch gleich erledigen. Die Rückreise verlief ähnlich, mit der gleichen langen Wartezeit an der Grenze.
Dann der nächste Besuch am 27. Dezember 1989.
Wir fuhren einen nagelneuen Lada Samara, mit dem wir die ersten 1000 km abfahren wollten. Unser Sohn hatte seit einem Jahr seinen Führerschein und sollte und wollte einen Teil der Strecke fahren.
Am Tag vorher riefen wir in Berlin an. Das alleine war überraschend neu. Wählen und der Teilnehmer meldet sich! Erstaunen, ja Ungläubigkeit ob unserer Ankündigung, am gleichen Tag wieder heimwärts zu wollen.
Grenzübergang Zarrentin. Alle Kontrollbahnen geöffnet, Grenzsoldaten wie Verkehrspolizisten, immer den schnellsten Weg zeigend, Personalausweis vorzeigen, freundlich in der DDR begrüßt werden und weiter ging es. Keine 15 Minuten Aufenthalt. Das war dem hohen Verkehrsaufkommen geschuldet. Kein Geldumtausch, keine Straßenschikanen, nur freie Fahrt, natürlich nur mit 100 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Auf der Rückfahrt schlief ich gleich hinter Berlin ein und wachte kurz vor Hamburg auf. Mein Sohn erzählte dann, dass er gar nicht so viel Gas geben konnte, wie er durchgewunken wurde.
Unser Anruf am späten Abend in Berlin, um unsere Heimkehr zu melden, gab dann doch das Gefühl „Jetzt ist wirklich alles vorbei“.
Autor: Harald Schmidt