Die vollkommene Ehe

von Karl-Heinz Büchner | Als ich ungefähr 13 Jahre alt war, gab mir meine Mutter das anschließend genannte Buch zum Lesen. Vermutlich wäre meinem Vater diese Aufklärungsaufgabe zugefallen. Aber der hatte ja bereits vor langer Zeit sein Leben für den Führer und Großdeutschland erfolglos geopfert. Das Buch war von einem Menschen namens „van de Velde“ und hieß „Die vollkommene Ehe. Eine Studie über ihre Physiologie und Technik.“

Ich fand das von meiner Mutter gut, auch wenn sich dadurch für mich wenig änderte. Es war halt Theorie.

So ein Buch war besser als gar nichts, auch wenn es mir kaum etwas Neues offenbarte. Allgemein war dieser Bereich des menschlichen Lebens, der von zentraler Bedeutung ist, kein Thema über welches geredet wurde. Man schwieg darüber in der Öffentlichkeit. Ich durfte schon wählen, als ich zum ersten Mal mit einer Frau ‚geschlafen‘ habe. Sonderlich begeistert war ich nicht.

Es fällt unter die Thematik „Schweigen“, – und das betrifft nicht nur das Handeln von Eltern und Großeltern im tausendjährigem Reich, dem Krieg und gegenüber den Juden. Es ist ähnlich wie bei kleinen Kindern: man hält sich die Hände vor die Augen und hofft, dadurch von den Anderen nicht gesehen zu werden.

Jedenfalls habe ich bei der letzten Sitzung unserer Gruppe so gedacht: Aufklärung und gelassenes Reden über die geschlechtliche Thematik ist sicher gut! Zu erfahren wie es anderen ergangen ist, verklart die Sicht auf die Umwelt. Aber stets bleibt, dass jeder Einzelne seinen Weg suchen bzw. finden muss. Da gibt es kein ‘Trockenschwimmen’.

Vielleicht wird das sexuelle Zusammensein zu einer Geschichte, die sich die Beteiligten erzählen. Bei Liedern wird das Zusammenklingen mit anderen Stimmen geübt. Beim Gehen, Sprechen, Schreiben oder Ballspielen ist das Üben selbstverständlich. Beim Ausdruck und dem Umgang von und mit der Lust, wozu mensch den Körper bewegt, wird das sehr oft übersehen; – zumindest war das so für mich vor sechzig Jahren. Mir deucht, da fehlte es ein wenig an freundlicher oder großzügiger Gelassenheit.

Autor: Karl-heinz Büchner