von Lore Bünger | 5 Jahre und 8 Monate dauerte der 2. Weltkrieg 1939-1945. Im April 1945 zeichnete sich das herbeigesehnte Ende ab. Süddeutschland war schon besetzt. Ich war zu dieser Zeit mit meiner Dienststelle des Luftgaukommandos XI nach Ausbombung in Hannover im Lager „Hungriger Wolf“ bei Itzehoe.
Am 1. Mai 1945 kam die Meldung über Radio, dass Hitler an der Berliner Front „gefallen“ sei, in Wahrheit hatte er sich das Leben genommen. Davon wussten wir jedoch nichts. Nun kam aber die Hoffnung auf, dass wir bald Frieden haben würden. Am 3. Mai wurde Hamburg kampflos an die Engländer übergeben. Wir Hamburger in der Dienststelle atmeten auf, unsere Familien waren keinen Kriegsgefahren mehr ausgesetzt.
In Schleswig-Holstein war das Ende immer noch ungewiss. Erst am 9. Mai hörten wir in unserer Abgeschiedenheit, dass Deutschland endgültig kapituliert hatte. Auf der Landstraße, die an unserem Lager vorbeiführte, fuhren die ersten Lorries und Jeeps der Britischen Armee, aber keiner kümmerte sich um unser unscheinbares Lager. Das wurmte unseren Chef, Oberst Westphal, sehr. Er hatte sich nie als begeisterter Nazi gezeigt und war ganz versessen darauf, mit den Engländern in Kontakt zu kommen. Während unsere Soldaten, die als Schreiber bei uns Dienst taten, schon alle Litzen und Rangabzeichen abgetrennt hatten, stolzierte er in voller Uniform mit Orden und Ehrenzeichen vor dem Lagertor hin und her, aber die „Tommies“, wie wir die britischen Soldaten nannten, sausten vorbei.
Das ging tagelang so. Meiner Freundin Ilse und mir wurde das zu bunt, und wir beschlossen, am 13. Mai zu versuchen, mit unseren Fahrrädern nach Hause zu kommen. Bis Hamburg waren es 60 km, die wollten wir schaffen.
Unsere Kolleginnen hatten nicht den Mut, sie meinten, die Engländer würden uns unterwegs aufgreifen und gefangen nehmen. Aber unser Entschluss stand fest. Wir ließen uns von unserem Oberst einen Entlassungsschein und ein Zeugnis ausstellen und der Fourier wurde angewiesen, uns gut mit Lebensmitteln zu versorgen. Außerdem bekamen wir jeder 2 Wehrmachtwolldecken bester Qualität, dazu einen großen Rucksack, und die guten Leinengardinen aus unserem Büro durften wir auch mitnehmen! Unseren ganzen Privatkram, den wir zu jedem neuen Standort mitgenommen hatten, konnten wir im dortigen Forsthaus unterbringen.
Früh morgens fuhren wir los. Die Landstraßen waren leer, ab und zu begegnete uns ein englisches Militärfahrzeug, aber die Tommies winkten nur und fuhren vorbei. Über Horst, Elmshorn und Uetersen ging es weiter nach Heist, wo uns kurz vor dem Dorf plötzlich zwei Männer in wattierten Jacken und mit Stoppelhaar entgegenkamen. Russen oder Polen! „Oh, Ilse,“ sagte ich, jetzt rauben sie uns aus!“ Ilse trat in die Pedalen, ich wollte auch, fing aber zu wackeln an, und mit dem Ungetüm von Rucksack hinter mir bekam ich das Übergewicht und fiel um. Die Männer liefen auf mich zu, Ilse stand wie angewurzelt in einiger Entfernung. Beide packten mein Rad, stellten es aufrecht und einer sagte: „Oh, Frau, du hingefallen!“ Er half mir aufs Rad, gab mir einen Schubs, und ich verstand die Welt nicht mehr. Das waren also unsere schlimmen „Feinde“.
Über Holm ging es nach Wedel, und an der Grenze zu Hamburg sahen wir von Ferne schon einen rot-weißen Schlagbaum über der Straße. In einem Wachhäuschen stand ein englischer Soldat, der den Grenzverkehr kontrollierte. Wir waren jung, er auch, er grienste uns an.
Wir zückten unseren Entlassungsschein. „Ah, there is the stamp!“ Dieser Stempel war für ihn sehr wichtig. Dann legte er die Hand auf mein Lenkrad, berührte meine Hand und sagte: „Oh, what a wonderful ring you have!“ Na, dachte ich, den bin ich los, und erwiderte: „From my mother.“ Er schmunzelte, sagte: „Good luck!“ und hob die Schranke. Wir waren in Hamburg – zu Hause.
In den sogenannten schönsten Jahren unseres Lebens waren wir durch die Hölle gegangen, bei Luftangriffen eben am Tod vorbei, in selbst geschaufelten Erdlöchern hatten wir Deckung vor Tieffliegern gesucht, und wir hatten unsere Städte in Schutt und Asche fallen sehen.
Nun ging es heim zu unseren Familien. Das Glück und die Erleichterung, die wir alle empfanden, als wir uns in die Arme schlossen, kann man nicht beschreiben.
DER KRIEG WAR AUS!
Autorin: Lore Bünger