von Karl-August Scholtz | Ob wir die DDR damals als Ausland empfunden hätten“, wurde kürzlich gefragt. Dieses Thema bewegte mich, ich halte es bedeutsam für unsere deutsche Zeitgeschichte.
Wie war das denn damals im „Kalten Krieg“, als Ost- und West sich waffenstarrend und drohend gegenüberstanden, die Bevölkerung sich vor einem bevorstehenden, alles vernichtenden Krieg fürchtete? Politiker und Medien der BRD und DDR beobachteten jeweils ihren deutschen Nachbarstaat argwöhnisch. Aber die damalige politische Großwetterlage sollen Historiker behandeln.
Wie waren meine Gefühle? Bis Kriegsende bin ich Mecklenburger gewesen. Meine Familie war dort verwurzelt, und als Soldat war ich für unser ganzes Deutschland eingesetzt. Mecklenburg gehörte jetzt zur DDR. Doch böse Kriegserinnerungen an misshandelte deutsche Verwundete durch russische Soldaten hatten mich rechtzeitig in den Westen wechseln lassen. Aber niemals kam ich später auch nur auf den Gedanken, Mecklenburg und die DDR als Ausland anzusehen. Oder gelegentlich doch?
Wenn ich mit meiner Familie oder mit Reisebus-Passagieren bei meinen Besuchen in der alten Heimat an der Grenze echte Schikanen durch die Volkspolizei erlebte, Geschenke bei der Einreise abgenommen wurden, dann auf der Rückfahrt – nein, Ausreise – häufig altes Familieneigentum oder alte persönliche Gegenstände mit hämischen Bemerkungen konfisziert wurden, fühlte ich mich manches Mal wie an der Grenze zu einem feindlichen Ausland.
Oder auch an jenem Vormittag, als ich anlässlich eines Familienbesuches morgens pünktlich 7.00 Uhr in einer Gastwirtschaft von unserem „offiziellen Gastgeber“, der DDR oder SED, als Ausländer aus der BRD begrüßt wurde. Ich erhielt ungewünscht Unterricht über die friedliche DDR mit dem sorglosen Leben dort, hörte von unhaltbaren Zuständen in der kriegslüsternen BRD. Der friedliebende deutsche Staat, die DDR, welchen die BRD gefälligst anerkennen sollte, werde doch in unseren Westmedien völlig falsch dargestellt und sogar die meisten Namen seiner glorreichen Führer uns vorenthalten! Am Ende fand ich es unverschämt, im Gespräch genannte Namen von DDR-Ministern und SED-Funktionären wiederholen zu sollen. Und die Parteifunktionäre taten sich so wichtig. Dabei war ich nur meiner alten, allein stehenden Mutter zuliebe hingegangen, deren Hauswart, auf den sie angewiesen war, mir mit dieser Einladung Gutes tun wollte!
Oder als ich nach 50 Jahren endlich meinen alten Sportplatz wieder sah und fotografierte. Da war für meine Frau und mich der Tag gelaufen. Wegen des Fotografierens landeten wir wegen Spionageverdachts bei der Volkspolizei, die ausgerechnet im vermeintlich neuen Clubhaus auf dem Sportplatzgelände residierte. Das geschah sogar wenige Tage vor der Wende. Nach vielem Hickhack durften wir abends wieder zu den Klassenfeinden nach Hamburg zurückfahren.
Solches waren für mich tatsächlich Augenblicke, in denen ich den Staat DDR verbittert als Ausland empfand. Aber die Menschen, Verwandtschaft, Schul- und Sportfreunde plötzlich Ausländer? Nie und nimmer! Vom ersten Tag der deutschen Teilung an habe ich fest an die Wiedervereinigung geglaubt und bin glücklich, sie erlebt zu haben. Und außer Funktionären sahen auch die Bürger der DDR in mir keinen Ausländer. Nein, die Menschen in den alten und neuen Bundesländern waren und sind ein Volk!