von Manfred Hüllen | Als die DDR noch „DDR“ war (die Springer-Presse benutzte immer die Schreibweise mit Tütteln), war ich 1984 im Auftrag meiner Firma auf der Leipziger Frühjahrsmesse. Ich war im Specks Hof untergebracht, gegenüber vom Leipziger Marktplatz, nahe vom weltberühmten „Auerbachs Keller”.
Auf der Messe ging es mir um Bestellungen von Kleinlederwaren wie Geldbörsen und Brieftaschen für meine Firma. Ein Jahr zuvor hatte mich Herr Birkner, seines Zeichens DDR-Koordinator, gefragt, ob ich ihm wohl ein Kofferradio mit zwei Lautsprecher-Boxen mit nach Leipzig bringen könne. Dies Kofferradio hatte ich nun im Kofferraum meines Autos dabei. Als ich ihm das auf der Messe sagte, war er hocherfreut, bedeutete mir aber, mit einem Fingerzeig auf den Mund, zu schweigen.
Am frühen Nachmittag bat er mich, seinem Trabi zu folgen. Somit fuhr ich mit meinem BMW 530 ca. 7 bis 8 km hinaus ins unbebaute Land.
In einem durch Wald nicht einsehbaren Geländeteil hielten wir an und ich übergab ihm das Kofferradio. Es handelte sich um ein japanisches Produkt mit Kassettenabspielfach und zwei Lautsprecherboxen, gesamte Lautspielstärke: 160 Watt! Beide Boxen konnten vom Gerät abgenommen und 6 Meter entfernt aufgestellt werden. So hatte man ein ideales Party-Musik-Radio.
Herr Birkner wollte das Radio nicht annehmen, doch ich konnte ihn umstimmen, und so wurde es in seinem Trabi unter einer Decke im Kofferraum versteckt. Daraufhin gab er mir ein kleines Päckchen mit den Worten: „Es handelt sich um eine Taschenuhr, die ich von meinem Großvater geerbt habe.“ Zu Hause habe ich mir die Taschenuhr genauer angesehen. Es war eine Sprungdeckeluhr aus Sachsen, produziert von der legendären Glashütter Manufaktur.
Im selben Jahr war ich zur Herbst-Messe abermals in Leipzig, und wiederum traf ich Herrn Birkner. Mit sichtlicher Freude berichtete er mir, dass er eine tolle Verlobungsparty mit vielen Freunden feiern konnte. Die Musikkassetten mit den Hits von Queen, Freddie Mercury, Joe Cocker und den Beatles hätten für extrem gute Stimmung gesorgt. Eine Hand wäscht die andere, und so verriet er mir, welche Leute bei der Interpelz „Politische” seien, also Stasi-Informanten.
Nach all den Jahrzehnten habe ich gegenwärtig bei der ehemaligen Birthlerbehörde (heute Roland-Jahn-Behörde) einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, um zu erfahren, was da über mich drinsteht. Bin gespannt!
Autor: Manfred Hüllen