von Harald Schmidt | Was will ich werden, was kann ich werden? Darum kreisten die Gedanken im Jahr 1960. Jeder von uns Schülern hatte Träume und einige auch Vorbilder. Ich wollte Elektriker oder Maschinenschlosser werden. Die Suche nach einer Lehrstelle ging los. Davor stand die Berufsberatung. Wer hatte in der damaligen Welt schon eine Vorstellung von den unterschiedlichen Berufen.
Einer Einladung zu einer „Eignungsprüfung“ folgte ich. Wir Kandidaten mussten u. a. ein Fahrrad aus einem langen Draht biegen, das blieb mir in Erinnerung. Dann folgte ein Gespräch mit den Eltern. Ich hatte das Glück, meinen Vater, der sehr redegewandt war, dabei zu haben.
Um sich bei einer größeren Firma bewerben und vorstellen zu können, benötigte man eine offizielle Karte von der Berufsberatung. Mein Vater bestand auf einer bestimmten Firma in Barmbek.
Als der Berufsberater nach einigem Hin und Her, u.a. meinte er, ich würde bei der Firma eh nicht angenommen, den Vorschlag machte, Tankwart wäre das Richtige für mich, kam mein Vater richtig in Rage, beugte sich über den Schreibtisch und machte dem sehr verdutzten Mann unmissverständlich klar, was er für mich wollte.
Ich bekam die Vorstellungskarte, schrieb meinen Lebenslauf (mit elterlicher Hilfe, denn eine andere Quelle gab es nicht), ging mich vorstellen und wurde als Maschinenschlosserlehrling eingestellt. Dieser Jahrgang über alle Berufe umfasste etwa 80 Lehrlinge.
Die Lehrzeit begann am 1.4.1961 und sollte 3 1/2 Jahre dauern. Zwei Jahre erlernten wir unseren jeweiligen Beruf in der Lehrwerkstatt. Zusätzlich bekamen wir theoretischen Unterricht (Führungskursus genannt), soviel, dass mancher Ausbilder über die vielen Abwesenheiten stöhnte. Ich hatte sehr viel Spaß an der Ausbildung, zumal ich von meiner Schule her gut in Rechnen, Algebra und Geometrie (so hießen die Fächer damals) vorbereitet war.
Ab dem 3. Lehrjahr kamen wir in die verschiedenen Produktionsbereiche und wurden sofort voll eingesetzt. Hier konnten und mussten wir unser Erlerntes einsetzen. Ich lernte einen Vorarbeiter kennen, der mir erklärte: „Du musst der größte Dieb aller Zeiten sein, du musst mit Augen und Ohren stehlen!“.
Ungefähr ein Jahr vor der Gesellenprüfung kam ich in die Endmontage und Abnahmekontrolle. Ein Mitarbeiter dort war mit einer Montagearbeit beschäftigt und beim Erklären seiner Tätigkeit ertönte es mit einem Mal mit viel Stolz in der Stimme: „Und ich baue schon 25 Jahre Leit- und Zugspindeln ein“.
Donnerwetter dachte ich. Harald, das soll deine Zukunft sein? Niemals! Aber was dann? Dieser Satz von dem Kollegen ging mir nicht mehr aus dem Kopf und bedrückte mich zusehends. Ich sprach mit meinen Eltern und mit unserem Ausbildungsleiter und traf auf sehr verständige Menschen. Möglichkeiten wurden aufgezeichnet. Anforderungen benannt: Ing-Schule, Werftzeit mit anschließender Seefahrt oder eine zweite Lehre im kaufmännischen Bereich beginnen. Ich entschied mich für eine Lehre zum Industriekaufmann.
Sechs Bewerbungen schrieb ich und erhielt fünf Zusagen. In der Beziehung eine traumhafte Zeit, nur, eine Entscheidung treffen musste man schon selbst. Diese beiden Begegnungen mit ihren Aussagen beeinflussten mein ganzes Berufsleben.
Abendschule, weitere Fortbildungsmaßnahmen und die immerwährende Neugierde ließen mich Fragen stellen, bis hin zur Kündigung meinerseits, weil die Firma nicht bereit war, ein EDV-System zur Produktionsplanung anzuschaffen. Knapp Zwei Jahre später (1980) bekam ich das Angebot dieser Firma, wieder einzusteigen – als Abteilungsleiter für Materialplanung und Lagerwesen – und eine EDV wäre auch vorhanden. Zwei Kollegen aus verschiedenen Bereichen und ich installierten ein eingekauftes Produktions-Planungs-System (PPS) und passten es unseren Bedürfnissen an. Dort lernte ich sogar Programme lesen und einfaches Programmieren. So begann mein Leben mit der digitalen Welt.
Es kamen Jahre mit vielem Auf und Ab. Durch Konkurse, Wiederaufbau, Verkauf und Fertigungsstillegungen musste ich mir des Öfteren einen neuen Arbeitgeber suchen.
Ich hatte Glück und erreichte das Rentenalter in gesicherten Verhältnissen ohne einen Tag Arbeitslosigkeit. Mit 63 Jahren war Schluss.
Meine Neugierde und das wissen wollen um das Warum begleiten mich noch heute.
Ich bin bestimmt schon so manchem Handwerker auf den Nerv gegangen, wenn ich ihn bei der Arbeit beobachtet habe. Durch fragen und erklären, warum ich so bin und ich nicht kontrollieren will, ergab sich so manches gute Gespräch. Ich werde mich wohl nicht mehr ändern, was ich auch gar nicht will. So bin ich eben, einmal aufgewacht und neugierig geblieben. Deswegen vielleicht mein Engagement bei den Zeitzeugen?
Autor: Harald Schmidt