von Carsten Stern | Regionales und Ausländisches: Die Vielfalt des Essens. Ich kann mich noch gut erinnern, wie in den 1970er und 1980er Jahren die exotischen Früchte in die deutschen Geschäfte kamen. Vieles kannte ich nur aus Dosen und von Fotos: Ananas war ganz selbstverständlich Dosenware. Granatapfel war ein exotischer Saft; wie die Früchte aussahen, wusste ich früher gar nicht.
Heute kauft man die Früchte sogar bei Lidl. Aber immerhin: Als ich Ende der 1990er dienstlich in Kairo war, habe ich meiner Familie von dort frische Granatäpfel mitgebracht – und die schmeckten großartig und viel intensiver als die „frischen“ Früchte hier. Tempora mutantur. Sind wir durch die vielen exotischen Früchte heute glücklicher geworden?
Mango kannte ich als Frucht auch nicht. Bei manchen Früchten weiß ich auch heute nicht, was das ist, was ich da auf dem Markt in der Auslage sehe. Maracuja kenne ich als Saft, schmeckt auch gut. Die erste Maracuja in echt fand ich nur schleimig, sie sah aus wie Spucke. Muss man ja auch nicht mögen. Feigen habe ich zum ersten Mal in den 1980ern im Tessin in einem Spätsommer am Baum gesehen, gepflückt und gegessen – und die schmeckten wirklich hervorragend, ganz anders als die getrocknete Weihnachtsdekoration, die ich mit dem Namen „Feige“ verband.
Natürlich wusste ich damals wie heute, dass es die Dosenware irgendwo auf dieser Welt auch als frische Frucht gab. Die muss auch anders schmecken als unsere Dosenwaren, und anders auch als „Frischware“, die wochenlang mit dem Schiff unterwegs ist. Neuerdings kommt sie per Flugzeug, verbraucht Unmengen an Kerosin, und dann schmeckt die Mango wie eine „Mango“ – deren frischen Geschmack man ja auch gar nicht kennt. Man beurteilt „gut“ und „schlecht“ ganz anders, als ein Einheimischer, bei dem die Frucht wächst.
Die spanischen Früh-Erdbeeren sind auch geschmacklos gegenüber unseren Vierländern!
Eine Offenbarung war für mich die Lychee: Wir haben ja nicht einmal einen deutschen Namen dafür, so unbekannt ist die Frucht. Als Dosenware schmeckte sie fade. Einmal hatte ich „frische Lychee“ bei uns gekauft – war nicht wesentlich besser. Aber 1985 in China gab es Lychee wie bei uns Erdbeeren als Massenware frisch von der Ernte. Der Unterschied ist gar nicht zu beschreiben. Ein großartiger Geschmack. Den kann die Frucht gar nicht konservieren, bis sie hierher kommt.
An Ananas habe ich mich gewöhnt und mag sie heute. Ich kann mich noch an meine erste Ananas erinnern, an die erste frische. Das muss Ende der 70er oder Anfang der 80er gewesen sein. Ich war maßlos enttäuscht von dem Geschmack. Es fehlte einfach etwas bei der „echten“ Frucht, die Dosenware war eindeutig besser. Die Dosenananas hatte etwas ganz Spezielles. Es dauerte sehr lange, bis ich merkte, was mein Lieblingsgeschmack war: Zink. Die Ananas aus der Dose schmeckte nach Dose, nach dem Material der Dose, nach Zink. Natürlich fehlte der in der echten Ananas. Auch die Mandarinen aus der Dose haben so einen typischen Dosengeschmack. Und in den Obstsalat passt auch immer noch die Dosenmandarine – so war schließlich Obstsalat „schon immer“. Und der Dosensaft der Dosenmandarine schmeckt ja auch gut.
1963 habe ich als Student ab und zu im Hafen gejobbt und Ware aus Stückgutfrachtern gelöscht. Einmal war dies ein Schiff aus Formosa, das Konserven geladen hatte – Champignons (die kosteten damals noch ein Vermögen) und Mandarinen. Die Dosen standen in Mengen auf Paletten, die der Kran aus dem Bauch des Schiffes hievte. Einen Teil des Unterdecks konnte der Aufpasser des Schiffes nicht einsehen. Dort in der Dunkelheit gab‘s Mandarinensaft! Die Hafenarbeiter hatten ein kleines Gerät, wie einen Libby-Dosenstecher, mit dem sie ein Loch in die Mandarinendose pieksten, die Dose an den Mund führten und den Saft austranken. Die Dose wurde dann wieder in die Palette gestellt. In manchem Laden waren die wohl nicht mehr verkäuflich. Dieser Saft schmeckte.
Natürlich ist frischer Orangensaft etwas herrliches. Aber Mandarinensaft ist Saft aus der Dose.
Heute gibt es auch noch Mandarinen aus der Dose. Aber man muss schon danach Auskuck halten, sonst findet man sie nicht mehr.
Auch mit Bananen ist das so eine Sache. Auf Kreta habe ich frische Bananen von der Staude (aus dem Gewächshaus) gegessen – mit dem Geschmack unserer Bananen aus Costa Rica waren sie gar nicht zu vergleichen.
Und dann gibt es ja noch die einheimischen Früchte zu exotischen Zeiten. Erdbeeren gehören in den Juni und Juli, Kirschen in den Juli. Heute kann man Erdbeeren auch im Januar kaufen – aus Israel oder Südafrika und sonst woher. Sie sind vom Preis her sogar erschwinglich. Ich kann mich erinnern, wie ich als Student in den 1960ern bei Verwandten war. Es war Januar. Mein Onkel hatte seiner Frau eine Schale Erdbeeren mitgebracht, die er bei Michelsen an der Waitzstraße erstanden hatte. Zwölf Mark die Schale. Das war ein so ungeheurer Luxus und ein Preis fernab von meiner Vorstellung. Sechs Euro für eine kleine Schale Erdbeeren wäre auch heute teuer, selbst im Januar. Erdbeeren werden sogar im Januar in vielen Läden angeboten und verkauft – und nur in einem einzigen Feinkostladen in einer großen Stadt wie Hamburg. Die Zeiten ändern sich. Und das, was „wir“ kaufen, ändert sich auch.
Autor: Carsten Stern