von Claus Günther | Früher – ja, früher hatten wir noch richtige Winter mit Eis und Schnee, viel Schnee. Und es war nicht nur üblich, dass gefegt und gestreut wurde, sondern dies hatte unverzüglich zu erfolgen. Bei meiner Oma, die ein kleines Häuschen besaß, klingelte eines Wintermorgens um 5 Minuten nach 8 ein Polizist an der Tür: „Warum ist hier noch nicht Schnee gefegt?“
Gestreut wurde meistens Asche aus der Herdschütte. Salz, das wusste man damals schon, war nicht gut für die Straße, die Bäume, die Stiefel, die Schuhe und die Pfoten der Vierbeiner. Rotes Viehsalz war wirksam, aber strafbar.
Eine andere Art von Asche, nämlich die von Tabakwaren, ist mittlerweile aus öffentlichen Räumen weitgehend verbannt. Dafür liegen vielerorts massenweise Kippen auf der Straße. Wenn es dann mal schneit, deckt der Schnee sie zu, auch das Laub, und wenn der Schnee liegen bleibt, werden die Bürgersteige rutschig. Es kümmert sich niemand mehr – kein Personal!
Geändert hat sich auch die Bestattungskultur. Früher hieß es: „Der Mörder wird verscharrt, der Arbeiter begraben, der Bürger beerdigt und der Adlige beigesetzt.“ Zu der Zeit – ich habe sie noch erlebt in den 30er Jahren – zogen Pferde einen Sarg auf einem Wagen zum Friedhof, alles in feierliches Schwarz gehüllt, die Pferde mit schwarzen Puscheln geschmückt und mit schwarzen Scheuklappen. Man blieb stehen, wenn solch ein Wagen langsam vorbeifuhr, man senkte den Kopf, und die Männer nahmen ihre Hüte ab.
Heute hingegen bevorzugen immer mehr Menschen die Feuerbestattung – „anonym“ oder „halb-anonym“, oder auch eine Seebestattung. Dann entfallen die Friedhofsgebühren, die Kosten für Grabstein und Grabstätte sowie die Grabpflege. Und das Meer? Ach, das Meer! Das wird halt noch ein bisschen schmutziger, mehr oder weniger.
Asche zu Asche also… Auch dies ein Zeichen für den Verfall der Familien, des Glaubens, der Tradition, der Kultur. Man wird vermutlich eines Tages nicht mehr sagen können: „Schau, Kind, hier liegen deine Großeltern. Es ist unser Familiengrab.“ Oder auch: „Sieh nur, der hier, das war mal ein berühmter Dichter!“ Goethes Faust konnte noch Ansprüche stellen, indem er sagte: „Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Äonen untergehn…“ Vorbei, vorbei.
Apropos Dichter: Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird es eines Tages vermutlich auch kaum noch Handschriften von berühmten Leuten geben. Man kann dann höchstens sagen: „Seht euch den Absender dieser E-Mail an. Die hat der große XY geschrieben – eigenhändig!“ Aber beweisen lässt sich das nicht.
Alles Asche.
Autor: Claus Günther