von Richard Hensel | Meine Mutter hatte als junges Mädchen von 15 oder 16 Jahren einmal ihren Onkel besucht. Er hatte in der Nähe eines Dorfes in der Mark Brandenburg ein Anwesen. Dort hatte sie ein gleichaltriges Mädchen kennen gelernt. Dieses war die Tochter eines Mühlenbesitzers. In den zwei Wochen, welche meine Mutter beim Onkel und seiner Familie weilte, entwikkelte sich zu der Müllerstochter aus Sicht meiner Mutter eine innige Verbundenheit. Ich entsinne mich, dass meine Mutter jeden Monat mindestens einmal mit ihrer Freundin Käte korrespondierte. Die beiden Frauen tauschten alle Erlebnisse, die sie mit ihrer Familie hatten, aus.
Im Februar 1946, nachdem wir aus unserer Heimat ausgesiedelt waren, fanden wir im Wohnhaus des Müllers eine erste Unterkunft. Diese wurde uns jedoch nicht aus Freundschaft gewährt, nein, wir wurden vom Bürgermeister des Ortes dort eingewiesen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren dort noch keine Flüchtlinge bzw. Vertriebenen eingewiesen worden.
An einem späten Nachmittag, wir waren zirka zwei Wochen dort, kam die liebe Freundin Käte zu uns und erklärte meiner Mutter, dass die Freundschaft hiermit beendet wäre. Ich kann mich an die gesprochenen Worte nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass meine Mutter bitterlich geweint hat. War sie doch bis dahin der Meinung gewesen, dass eine Freundschaft auch in Notzeiten erst recht zeigen müsste, welchen Wert sie hat.
Autorin: Richard Hensel