von Walter Schmidt | Im Sommer 1943 war ich knapp 13 Jahre alt. Wir lebten in Leck, einem Dorf im Norden Schleswig-Holsteins. Der Ort hatte vor dem Krieg ungefähr 2000 Einwohner.
In den Schulferien durfte ich nun zum ersten Mal richtig verreisen. Weit weg – nach Halstenbek. Da wohnte mein Großvater, und in der Wohnung nebenan eine Tante mit drei kleinen Töchtern. Dort konnte ich unterkommen. Opa hatte kein Bett für mich. Ich hätte bei ihm ohnehin nicht schlafen wollen, denn er hatte einen kleinen Hund, den Fiffi. Und Fiffi hatte jede Menge Flöhe – demzufolge auch die Wohnung. Aber Opa war wohl Tierfreund, ihn störte das anscheinend nicht. Mittel zum Bekämpfen der Hundeflöhe waren damals Mangelware.
In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag, den 25. Juli, gab es Fliegeralarm. Es war, wie sich bald zeigte, der erste Großangriff der britischen Luftwaffe auf Hamburg. In Halstenbek auf dem Bahnhof stand, auf Eisenbahnwagen montiert, eine schwere Flak. Wir mussten Schutz suchen im Hauskeller. Bunker gab es in Halstenbek nicht. Die Flak schoß, Bomben fielen, und auch in Opas Haus krachte es. Es war ein Geschäftshaus mit zwei Läden und vier Schaufenstern. Und diese Schaufenster zersprangen mit Höllengetöse! Nach der Entwarnung stiegen wir aufs flache Hausdach. Der ganze Himmel im Süden war blutrot. Hamburg brannte!
Am nächsten Tag sahen wir überall Streifen herumliegen, etwa 2 cm breit und 20 cm lang, eine Seite schwarzes Papier, die andere Metall, vermutlich Staniol. Zunächst hieß es, diese Streifen können womöglich vergiftet sein. Später haben wir dann erfahren, dass sie von den Briten in großen Mengen abgeworfen wurden, um die deutschen Flugpeilgeräte zu verwirren, also die Luftabwehr zu behindern.
Im Lauf des Tages kam ein Onkel aus Pinneberg und half meinem Opa, die offenen Schaufenster mit Brettern zu vernageln. Viele Hamburger tauchten in Halstenbek auf, um hier bei der Post zu telefonieren und ihren Angehörigen mitzuteilen, dass sie noch lebten. In Hamburg funktionierte ja wohl rein gar nichts mehr.
Am Montagvormittag bin ich dann mit meinem Opa per Fahrrad nach Hamburg gefahren. Ich hatte Onkel und Tante in Hamburg, und Opa wollte natürlich wissen, ob beide noch lebten. Sie wohnten am Falkenried.
Dort angekommen, fanden wir das Haus zwar beschädigt, aber noch weitgehend intakt. Das Nachbarhaus war kaputt, und die Häuser auf der anderen Seite hatten, wie uns erzählt wurde, erst am Montagmorgen angefangen zu brennen. Von der Feuerwehr war nichts zu sehen: die war in der Hoheluftchaussee beschäftigt. Dort brannte es überall. Man hatte zwar Feuerwehren aus ganz Schleswig-Holstein und Niedersachsen nach Hamburg geholt, aber wo sollten sie löschen, da ganze Stadtteile brannten? Und selbstverständlich konnten sie nur dort tätig werden, wo noch Löschwasser verfügbar war.
Meine Tante trafen wir zu Hause an, und mein Onkel lebte auch noch, war aber unterwegs. In der Hoheluftchaussee sah es furchtbar aus. Man scheuchte uns weiter, weil Giebel ausgebrannter Häuser auf die Straße zu stürzen drohten. Wir haben uns dann beeilt, wieder aus Hamburg herauszukommen.
Zwei Tage später kam meine Mutter angereist, um mich abzuholen, sie hatte Angst um mich. Mir gefiel das gar nicht, denn mir war ja nichts passiert, doch musste ich mit. In Halstenbek in den Zug zu kommen, war allerdings nicht einfach. Das Gedränge war groß, alle Türen blockiert.
Freundliche Menschen im Zug haben schließlich mich und meine Mutter durch ein Zugfenster hineingezogen. Damit waren meine Sommerferien zu Ende.
Autor: Walter Schmidt