von Ingeborg Schreib-Wywiroski | Wer weiß heute, wie wunderschön eine Fensterscheibe mit dick darauf sitzenden Eisblumen aussehen kann? Wenn man dagegen haucht, lösen sie sich auf und schnell bilden sich wieder neue.
Die Nachkriegswinter in Berlin 1945, 1946 und 1947 waren immer lausekalt. Insbesondere der Winter 1946/47. Die Temperaturen im Januar und Februar fielen auf unter Minus 20 Grad Celsius. Ein Terror für meine Mutter, wunderbar für uns Kinder.
Sie wusste kaum, wie sie die Wohnung einigermaßen lauwarm bekommen konnte, damit nicht alle Wände feucht wurden. Längst waren alle Leitungen eingefroren, kein Gedanke an fließend Wasser. Zur Toilette bewaffnete man sich mit einem Eispickel für den Wassereimer.
Nur in der Küche und im Wohnzimmer gab es in unserer Drei-Zimmerwohnung in Steglitz eine Möglichkeit zu heizen … Wenn überhaupt etwas zum Heizen da war.
Trotzdem: Wir Kinder fanden das alles nicht so schlimm. Frostbeulen waren allgemein üblich.
Aber gab es etwas Schöneres, als durch den glitzernden, weißen Schnee zu waten, ihn mit dem Stiefel vor sich her zu schieben?
Wir wetteiferten in meiner Straße, wer als Erster aus dem frisch gefallenen Schnee einen Schneemann baute, wenn der Schnee klebrig genug war.
Oder wir zogen schlitternd und rutschend den alten, kräftigen Holz-Rodelschlitten zum frisch aufgetürmten „Mount Klamott“. Diese Schuttberge entstanden mit beachtlicher Höhe beim Räumen der zerbombten Straßen aus den Ruinenüberbleibseln. Mit Erde bedeckt und begrünt. Im Sommer Verweil- und Spielplätze, im Winter wunderbare Rodelbahnen.
Wer hatte das früher mal erlebt? Mitten in den Wohnvierteln in Berlin richtig zu rodeln? Der einzige Nachteil war immer die dünne Schneedecke und die vielen Kinder! Schnell war der Schnee abgefahren und das Rodeln auf blankem Eis wurde zu Kunst, vor der so mancher Schlitten kapitulierte.
„Was habt ihr mit dem Schlitten angestellt!“, jammerte meine Mutter, „damit bin ich schon gerodelt und Onkel Heini zehn Jahre später auch. Da war nie was dran! Wo soll ich jetzt für euch einen neuen Schlitten herkriegen?“ Aber bei irgendeiner Tante, in irgendeinem Keller oder Boden, fand sich immer wieder Ersatz.
Als meine Füße größer wurden, passten mir Mutters alte Bergstiefel. Von meinem Onkel bekam ich seine alten Schlittschuhe, die ich jedes Mal vorher an die Stiefel anschrauben und hinterher wieder abschrauben musste, um nach Hause laufen zu können. Wer hatte in diesen Jahren schon Schlittschuhstiefel?!
Schlittschuhlaufen wurde eins meiner schönsten Wintererlebnisse in jenen eiskalten Jahren. Zuerst auf dem zugeeisten Tennisplatz in der Nähe und dann, als ich älter war, auf den Berliner Seen: Von der krummen Lanke zum Grunewaldsee und, wenn das nicht genug war, noch zum Schlachtensee. In einem Rutsch.
Dumm nur, wenn der Schlüssel abbrach oder die Absätze das Gewicht des Schlittschuhs nicht mehr verkrafteten. Dann verlor ich den kostbaren Schlittschuh und landete mitten im Achtenfahren auf der Nase, so manche Narbe habe ich davon noch heute.
Übrig geblieben war auch in späteren Jahren der Besuch der jährlichen Eiskunstlaufschau, ein festes Winter-Ritual mit meiner Mutter.
Autorin: Ingeborg Schreib-Wywiorski