von Manfred Hüllen | Mein Schwiegervater war ein seriöser gebildeter Mensch. In Düsseldorf war er als Regierungsrat (Beamter) im Justizministerium beschäftigt.
Auffallend war, dass er mir gegenüber nie von seiner Tochter sprach (sie war ja meine Freundin). Später bekam ich heraus: Nicht sie, sondern ich war der Grund. Er lehnte mich total ab, weil mein Vater ein Mitglied der SPD war. Und er wusste, dass mein Vater von 1941 bis 1944 in Buchenwald im KZ inhaftiert gewesen war.
Mein Schwiegervater hingegen – er liebte und verehrte Adolf Hitler in der NS-Zeit über alles – hatte seine Ausbildung in Werl/ Soest als Justiz-inspektor gemacht, von dort war er nach Danzig als Oberleutnant kommandiert worden.
In Danzig wurde er als Schreibtisch-Soldat mit dem Organisieren von Zugtransporten betraut. Es waren auch Züge dabei, die Juden in Konzentrationslager brachten.
Dieser Mann hat seine Einstellung nach dem Krieg nicht geändert. Daher war es ihm nicht möglich, mich zu mögen oder zu akzeptieren. Wenn er in den 40-er Jahren wütend gewesen war, so berichtete mir meine Frau, wurde sie und ihre Schwester von ihm geschlagen und in den dunklen Keller gesperrt. Meiner Schwiegermutter warf er dann vor, sie hätte ihm „keine Söhne geboren, denn die hätte der Führer besser gebrauchen können.“
1966 lernte ich seine Tochter Irene kennen, meine spätere Frau. Wenn sie damals im Radio Rockmusik hörte, wurde sie laut angebrüllt „Mach diese Hottentotten-Musik sofort aus, diese Negermusik!“ Irene war zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt.
Meine Fragen an ihn, warum er so intolerant sei, wurde durch Schweigen beantwortet. Diese und andere Vorfälle machten es Irene und mir leicht, auch ohne Zustimmung ihres Vaters zu heiraten.
Mehr noch: Mit diesem Vater konnten und wollten wir keinen Kontakt mehr haben. Da unsere Ehe von 1966 bis heute sehr glücklich ist, kann ich nur sagen: Wir haben es richtig gemacht!
Meine Schwiegermutter ist mit 76 Jahren aus der gemeinsamen Wohnung mit meinem Schwiegervater ausgezogen – eine Entscheidung, vor der ich größte Hochachtung habe.
Heute denke ich: Hätte er doch mit uns und anderen Menschen geredet, um sein Trauma in den Griff zu bekommen – er hätte seine Haltung ändern, er hätte die Liebe seiner Töchter zurückgewinnen können. Vielleicht wäre er dann trotz allem ein zufriedener Mensch geworden.
Sein Schweigen hat alles zerstört.
Autor: Manfred Hüllen