„Das ist ja interessant!“ – Kriegsanfang (1939)

von Lore Bünger | Die Politik und Propaganda der Na-tionalsozialisten hatte sich von Anfang an eindeutig gegen die Kommunisten und gegen die Sowjetunion gewandt. – Ja, es gab in den Jahren vor 1933 geradezu bürgerkriegsartige Ausein-andersetzungen zwischen Nazis und Kommunisten. Es wurde scharf geschossen, es gab sogar Tote.

So war es für mich als 16-jährige mit wenig Politikverständnis sehr verwunderlich, dass Hitler und Stalin am 23. August 1939 einen gegenseitigen Nichtangriffspakt schlossen. Die Russen waren bis dahin doch immer Staatsfeind Nr. 1 gewesen. Stalin, der große Bösewicht! Was ja auch nicht bestritten werden konnte. – Aber Hitler wollte doch keinen Krieg – wie er immer wieder glaubhaft zu machen versuchte. Dieser Pakt sollte es wohl beweisen. – Welcher einfache Bürger konnte schon die wahren Absichten dahinter erkennen, nämlich die Aufteilung Polens und anderer Gebiete zwischen zwei Tyrannen.

Meine Mutter, meine ganze Familie war jedoch immer gut informiert. Onkel Edmund hörte BBC – Londoner Rundfunk, bam – bam – bam – bam! Schon vor Jahren hatte er gesagt: „Der Mann will Krieg.“ – „Dass du bloß keinem davon erzählst,“ ermahnte mich meine Mutter, und ich hatte ein ungutes Gefühl dabei. In unserem einzigen, zensierten deutschen Rundfunksender wurden wir doch als die friedliebende Nation hingestellt.

Deshalb war ich ganz verwundert, als meine Mutter Ende August 1939 ganz besorgt zu mir sagte: „Ich glaube, es gibt Krieg.“

„Das ist ja interessant!“, entfuhr es mir, und meine Mutter stand da wie vom Blitz getroffen. „Du weißt ja nicht, was das bedeutet“, sagte sie empört, „wir werden hungern und frieren, es wird viele Tote geben, es wird schrecklicher als 1914/18, wir müssen mit Luftangriffen rechnen, schon seit Jahren üben „die“ Verdunkelung der Gebäude.“  Mit „die“ meinte sie die Nazis.

Damals – wenige Tage vor Kriegsbeginn – konnte ich es einfach nicht glauben, dass uns so viele Schrecken bevorstehen würden. Waren wir doch überall „friedlich“ einmarschiert: Im Saarland, in Österreich, Sudetenland, Tschechei und Memelland. Es fehlten doch nur noch Danzig und der polnische Korridor!

Am 1. September 1939 klingelte mein Onkel Edmund an unserer Haustür. Er sah meine Mutter, seine Schwester, ernst an und sagte: „Der Kerl hat es geschafft, wir haben Krieg!“ Der Feldzug voller Blut und Tränen begann, er dauerte 5 Jahre und 8 Monate.

Ausschnitt aus dem Diktatheft von Lore Bünger vom 24. 9. 1937: Hier wird der Krieg schon in die Herzen der Kinder gesät.

Verdunkelung!

„Das mag ja nett werden!“, dachte ich, als mir bekannt wurde, dass von Montag bis Sonnabend Verdunkelungsübung sein sollte. Am Montagnachmittag ging das Theater bei uns los. Wir holten Wolldecken und verdunkelten erst einmal das Fenster auf dem Flur und das Clofenster. Und dann fing die Beratung an: „In das Esszimmer dürfen wir nicht gehen, denn die Fenster sind zu groß, um sie zu verdunkeln,“ sagte meine Mutter. Also wurde die Tür abgeschlossen, „Aber ins Kontor können wir auch nicht“, meinte mein Vater, „man kann nicht wissen, ob nicht doch zu viel Licht hinausfällt.“

Autorin: Lore Bünger