von Claus Günther | Februar 1945. Wir Jungs, so um die 14 Jahre alt, befinden uns, aus Harburg „kinderlandverschickt“, in einem KLV-Lager in Jaroměř (Jermer bei Königgrätz) im heutigen Tschechien. Täglich sehen wir die Flüchtlingstrecks aus dem einstigen Ostpreußen an der Schule vorbeiziehen. Der Unterricht interessiert uns kaum noch; uns beseelt der Wunsch zu helfen, irgendwie. Aber das schaffen nur die größeren 16-jährigen Schüler aus unserem Lager.
August 1945. Der Krieg ist vorbei, wir Kinder sind endlich zu Hause in Harburg angelangt. Erst langsam wächst das Bewusstsein dafür, welche Gebiete Deutschland durch den Krieg verloren hat: Ostpreußen, Oberschlesien, Niederschlesien, Pommern, Danzig.
7. Oktober 1949: Gründung der DDR (Bundesrepublik: 23. Mai 1949). Mitteldeutschland schottet sich fortan mehr und mehr ab. Ich erinnere mich an den Geburtsort meiner Mutter: Magdeburg-Buckau. Eine andere Beziehung zur DDR gab es nicht, hatten wir nicht. Um die Weihnachtszeit in den 50er Jahren wurden Kerzen ins Fenster gestellt „für unsere Brüder und Schwestern in der Zone“. Der Aufforderung „Dein Päckchen nach drüben” sind meine Eltern gefolgt mit einer Partnerschaft zu einer Familie in der DDR, der sie Pakete schickten. Ich weiß nicht, woher sie die Adresse hatten. Von dort, aus der „Zone“ kam als Dank ebenfalls das eine oder andere Paket. Ich erinnere mich an geschnitzte Figuren aus dem Erzgebirge. Gemäß der Hallstein-Doktrin von 1955 wurde die DDR von der Bundesrepublik nicht anerkannt. Die Springer-Presse schrieb grundsätzlich „DDR“, also mit Tütteln. Die Satirezeitschrift Pardon veröffentlichte in einer Ausgabe einen offenen Brief an den Verleger und sprach ihn wie folgt an: Sehr geehrter Herr „Springer“.
17. Juni 1953: Volksaufstand in der DDR.
13. August 1961: Bau der Berliner Mauer. Der Ost-West-Kontrast verschärfte sich. Es herrschte „Kalter Krieg“, und es war verpönt, von der DDR zu sprechen. Man musste immer „die sogenannte DDR“ sagen oder SBZ – sowjetisch besetzte Zone. Ich erinnere mich an die für mich unerträglichen Hass-Kommentare von Gerhard Löwenthal (ganz zu schweigen von dessen Pendant in der DDR: Karl-Eduard von Schnitzler).
9. November 1989: „Tanz auf der Berliner Mauer“ – die Grenze ist offen!
3. Oktober 1990: Deutschland ist wieder vereint. Konrad Adenauer, erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Ich erinnere mich aber noch an seinen Spruch: „Unser wichtigstes Ziel ist die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit.“ Ich gestehe, mich hat diese oft wiederholte Aussage an ein Mantra erinnert. An die Verwirklichung habe ich damals nicht geglaubt.
5. April 2011: Auf einer Kreuzfahrt lernen meine Frau und ich ein Ehepaar aus Dresden kennen. Wir verstehen uns auf Anhieb und sind bis heute gut befreundet. Inzwischen haben wir die zwei in Dresden besucht – und sie waren bei uns in Hamburg. Wer hätte gedacht, dass es jemals wieder eine Zeit geben würde, in der nicht nur das Reisen, sondern unendlich viel mehr eingeschränkt oder verboten sein würde – einschließlich freundschaftlichen Umarmens und einem Küsschen. Nicht mal die Hand geben darf man Freunden, und wehe, du hast keine Maske auf!
Autor: Claus Günther