von Edeltraud Jensen | „Im November 1989 war ich tief bewegt von den Ereignissen und weinte vor Freude wie viele andere, als ich die Bilder des Mauerfalls im Fernsehen sah. Bald strömten die Bewohner der ehemaligen DDR auch nach Hamburg, um sich ihr Begrüßungsgeld abzuholen. In der Mönckebergstraße schenkte ich einem Jungen 20 Mark und ein paar Matchbox-Autos. Aufgeregt lief er weiter, ohne sich zu bedanken.
An der Schule in Altona, wo ich arbeitete, wurde gefragt, wer bereit sei, eine junge DDR-Lehrerin während einer Weiterbildung für zwei Wochen aufzunehmen. Ich bewarb mich und freute mich auf einen Gedankenaustausch.
Zu mir kam eine etwa 20-Jährige mit einem Plüschteddybär und einem großen Kosmetikkoffer. Als ich ihr das Zimmer mit zwei Betten im Souterrain meines Hauses zeigte, sagte sie: „Hätte ich das gewusst, hätte ich meinen Freund mitgebracht.“ Ich hatte ihr einen Quelle-Katalog hingelegt, vielleicht wollte sie sich etwas aussuchen. Sie kreuzte etwa 20 Dinge an, die sie gern gehabt hätte. Doch das alles hätte ich gar nicht bezahlen können.
Leider kam es zwischen uns zu keinem Austausch. Als sie sich verabschiedete, bemerkte sie schnippisch: „Meine Freundin hatte auch das Pech, bei so einer Alten unterzukommen.“ Ernüchtert fragte ich mich, welch Geistes Kind sie war.
Insgesamt bin ich froh und glücklich darüber, dass es die DDR nicht mehr gibt. Ich wurde ja dort auch politisch drangsaliert, durfte kein Abitur machen. Die britische Premierministerin Thatcher war jedoch gegen die Wiedervereinigung und befürchtete, Deutschland könne wieder zu groß werden.
Nach der Wende reisten die DDR-Bürger*innen viel und lernten den Westen kennen, doch nur wenige West-Deutsche interessierten sich für den Osten des Landes. Von Besser-Wessis und Jammer-Ossis war die Rede. Allerdings hatten die Ossis auch manchen Grund, das zu sagen, denn viele von ihnen spürten bald nach der Wiedervereinigung Ernüchterung. In der DDR hatte es durchaus florierende Betriebe gegeben, die hätten erhalten werden können. Doch die hat die Treuhand dann für eine Mark an Ausländer verditscht, die sie verkommen ließen.
Es gab keine Arbeitslosigkeit in der DDR, sie wurde als persönliche Niederlage empfunden. Auch viele Berufe, die es im Westen gab, existierten im Osten nicht. Ost-Ausbildungen wurden drüben nicht anerkannt, so dass man nochmals auf die Schulbank musste. Aber immerhin die Wohnungen im Osten waren bezahlbar, wenn auch in schlechtem Zustand.
Die ganze Umstellung war für die Ostdeutschen Wahnsinn! Wo waren die blühenden Landschaften, die Helmut Kohl versprochen hatte?
In Meck-Pomm und vielen anderen ostdeutschen Regionen leben inzwischen vorwiegend alte Menschen. Die meisten jungen sind im Westen, weil es bis heute deutliche Lohnunterschiede gibt.
Die Stadt Halle ist mir düster und schmutzig in Erinnerung. Stieg man damals dort aus dem Zug, verschlug einem die schlechte Luft den Atem, und man bekam sofort Staubpartikel in die Augen.
Nach dem Krieg mussten wir unsere Wohnung mit Ostflüchtlingen und Angehörigen der russischen Besatzungsmacht teilen. Letztere hatten mitten in einem weiß tapezierten Zimmer eine Kohlenkiste ausgekippt. Einmal musste meine Mutter, so hungrig sie auch war, eine Buttercremetorte für sie garnieren, unter deren strengen Augen, dass auch ja nicht davon genascht wurde. Nach der Wende wollte ich die Stätte meiner Kindheit wiedersehen, also fuhr ich erstmals seit den 80er Jahren wieder nach Halle. Ich hatte Gelegenheit, unsere ehemalige Wohnung zu besichtigen, die inzwischen sehr aufgewertet war durch einen Südbalkon und eine neue Terrasse.
Die Treffen unseres Abiturjahrgangs 1950 konnten nach der Wende endlich ohne bürokratische Hürden vonseiten der DDR-Führung stattfinden, so dass auch andere Gesprächsthemen möglich waren. Ein Mitschüler etwa berichtete, dass er von einer westlichen Baufirma um 40.000 D-Mark betrogen worden war. Ich verband die Klassentreffen gleich mit Reisen durch die neuen Bundesländer an bedeutende Orte wie Weimar, die Sächsische Schweiz und die Wartburg.
Ich bin neugierig, wie die Wiedervereinigung künftig in den Geschichtsbüchern dargestellt wird. Das persönliche Empfinden, die Gefühle der Menschen und das, was wir als Zeitzeugen vermitteln möchten, wird wohl kaum darin zum Ausdruck kommen.
Autorin: Edeltraud Jensen
Protokollantin: Corinna Feierabend