von Richard Hensel | Eingeschult wurde ich im April 1939 in die Volksschule für Jungen „An der großen Mühle“ in Danzig.
Meine Mutter hat mich der Lehrerin übergeben mit den Worten „Fräulein, passen Sie auf, der Junge ist Linkshänder.“ Dieses hatte zur Folge, dass ich bereits in der ersten Stunde mit dem Rohrstock ein oder zwei Schläge auf die Finger der linken Hand bekam. Seitdem schreibe ich mit rechts.
Die Schulwoche begann am Montag um 8 Uhr und endete am Sonnabend. Während des ersten Schuljahrs hatten wir nur zwei bis drei Stunden Unterricht, in der vierten Klasse waren es dann aber bereits fünf Stunden.
1940 wurde auch in Danzig das Schuljahr den Richtlinien im Reich angepasst und das Schuljahr endete mit dem Beginn der großen Ferien.
Im zweiten Schuljahr hatten wir eine sehr strenge Lehrerin. Wenn sie die Klasse betrat, wurde zuerst für den Führer gebetet. Nach dem Gebet kam „Amen, Heil Hitler“ und „Setzen!“.
In der vierten Klasse haben wir es der Lehrerin sehr schwer gemacht. Sie lief häufig mit dem Rohrstock durch die Bankreihen. Es war für sie fast unmöglich, mit mehr als 30 Jungen einen vernünftigen Unterricht zu gestalten.
1943 wechselte ich dann auf die Oberrealschule St. Petri. Es war die größte Schule in Danzig. In diese Schule bin ich allerdings nie gegangen. Denn das Gebäude hatte die Wehrmacht beschlagnahmt. Wir hatten Unterricht im Lyzeum und zwar eine Woche am Vormittag bis 13 Uhr und die folgende Woche am Nachmittag bis 18 Uhr
Am 01.10.1943 änderte sich dann alles. Alle höheren Schulen in Danzig wurden geschlossen. Die Kinder konnten ins KLV-Lager, oder aber die Eltern hatten die Möglichkeit, ihr Kind in einer kleineren Stadt bei Verwandten unterzubringen. Voraussetzung war allerdings, dass dort eine höhere Schule war.
So kam ich nach Marienwerder (heute Kwidzyn) in Westpreußen. Dort hatten sich die Verantwortlichen etwas Besonderes einfallen lassen. Der Wechsel vom Vormittags- zum Nachmittagsunterricht war jeweils vom Mittwoch zum Donnerstag. Das bedeutete, wenn man am Mittwochnachmittag Unterricht hatte, musste man sich am Donnerstag bereits wieder am Morgen um 8 Uhr in der Schule einfinden. Warum diese Prozedur durchgeführt wurde, weiß ich nicht und gefragt habe ich nicht. Denn wir hatten zu antworten und nicht zu fragen.
Obwohl ich jeden Sonnabend nach Hause gefahren bin, hatte ich ein fürchterliches Heimweh. Bei der Erinnerung daran kommen mir jetzt noch die Tränen. Im Frühjahr 1944 gaben meine Eltern meinem Drängen nach und ich durfte zu meinen Klassenkameraden ins KLV-Lager nach Kahlberg auf der frischen Nehrung. Dort traf ich dann den größten Teil der Schüler aus Danzig wieder. Im Juli 1944 durften wir während der Sommerferien nach Hause. Aber ein Zurück nach Kahlberg kam nicht mehr in Frage, denn inzwischen waren die Truppen der Roten Armee in Ostpreußen über die deutsche Grenze gekommen. Das hätte bedeutet, dass ich der Front entgegenfahre.
In Danzig konnte ich aber auch nicht wieder zur Schule gehen. Denn erstens waren die höheren Schulen geschlossen und zweitens, wenn man mich in der Volksschule angemeldet hätte, hätte das bedeutet, dass meine Eltern nicht mehr an den Endsieg geglaubt haben. Somit war der Schulbesuch im Sommer 1944 erst einmal für mich beendet.
Nach den Osterferien 1946, inzwischen hatten wir unsere Heimat verlassen, wurde ich dann in Dranse in der Mark Brandenburg in die einklassige Dorfschule eingeschult.
Wir waren ca. 60 Kinder von der ersten bis zur siebten Klasse mit einer Lehrerin. Diese sagte mir nach ca. drei Wochen, dass ich in der Schule nicht bleiben kann. Sie würde versuchen, dass ich in Wittstock/Dosse im Gymnasium aufgenommen werde. Dranse ist ungefähr 13 km von Wittstock entfernt.
Ab 1. Oktober 1946 habe ich dann einen Platz im Gymnasium gehabt. Aber leider war nach 20 Tagen alles vorbei. Als ich am 21. Oktober am Morgen auf den Zug gewartet habe, kam nach einer sehr langen Zeit der Bahnhofsvorsteher heraus und erklärte mir, dass der Zug nicht mehr fährt. Sie hätten keine Kohlen. So ging ich wieder zurück in die Dorfschule und wurde 1947 entlassen.
Die Lehrerin sagte mir bei der Übergabe des Zeugnisses, sie habe eine Urkundenfälschung begangen. Sie hat auf dem Zeugnis vermerkt, entlassen aus der 8. Klasse.
Die Schule hatte aber nur sieben Klassen.
Autor: Richard Hensel