von Rolf Schultz-Süchting | Es erscheint mir zwar nicht besonders originell als ganz persönliches Erlebnis, wenn ich als die herausragendsten Ereignisse in den letzten 75 Jahren seit Ende des 2. Weltkriegs, die mich am meisten bewegt haben, den Bau und den Fall der Berliner Mauer bezeichne.
Aber ich kann nicht umhin, diese beiden Daten als absolut für mein eigenes Deutschland- und Politik-Bild prägend herauszustellen, welche alle persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse demgegenüber in den Hintergrund treten lassen:
Mir ist es sowohl am 13. August 1961 – als ich kurz vor dem Schulabschluss stand – wie auch am 9. November 1989 – als ich in der Mitte meines Lebens war – wie ein Wunder erschienen, dass beide Ereignisse ohne jedes Blutvergießen stattgefunden haben. Ich war bei beiden Geschehnissen nicht unmittelbar persönlich dabei, jedoch tage- und wochenlang voller Angst, dass es zu einem Krieg – und damals dachten wir bei einem Krieg immer an einen drohenden Atomkrieg – kommt, und danach voller Dankbarkeit, dass es so nicht kam.
Auch bei nachträglicher Betrachtung jetzt über 60 bzw. 30 Jahre später erscheint es mir immer noch als staunenswert, wie friedlich beide Ereignisse, die zunächst den „Westen“ und dann den „Osten“ – als den beiden „Blöcken“, die die Zeit von 1950 bis 1990 geprägt haben – auf das Intensivste zu Reaktionen herausgefordert haben, dauerhaft glimpflich abgelaufen sind, obwohl sie das Weltgeschehen auf deutschem Boden mehr als alles andere in den letzten 70 Jahren beeinflusst haben: Es gab zwar viel „Säbelrasseln“, aber es fiel zu unserer aller Überraschung und Begeisterung nicht ein einziger Schuss.
Der „Kalte Krieg“ blieb durch unerwartet besonnenes Verhalten der maßgebenden Persönlichkeiten in Washington und Moskau beherrscht, und wir als Generation der über 70-Jährigen können unserem Schicksal nur dankbar sein, dass nicht in Deutschland allein über das deutsche Schicksal entschieden wurde. Sicher auch weil unser Land, das durch eine Fülle von entsetzlichen Kriegen in dem vorangegangenen Jahrhundert in die Geschichte als kriegerische Nation eingegangen ist, in einen Europäischen Verbund eingehegt ist.
Wenn ich als Zeitzeuge auf mein Leben zurückblicke, kann ich nur große Dankbarkeit über unsere inzwischen gewachsene friedliche demokratische Struktur als große Freude zum Ausdruck bringen. Sowohl der ständig angewachsene Gesamt-Wohlstand unseres Landes als die natürlich über die Zeit entstandenen und sich noch entwickelnden Probleme in unserem Land treten dagegen nach meinem Verständnis in der Gesamtgewichtung deutlich zurück.
So viel Glück und Diskussions-Lebendigkeit und rechtsstaatliche Entwicklung und Geschichtsbewusstsein hätte ich mir – als ich in der Nachkriegszeit und den 50er Jahren mit ihrem ausgeprägten umfassenden Schweigen über die Vergangenheit groß geworden bin – nicht vorstellen können.
Autor: Rolf Schultz-Süchting