von Günter Lübcke | Es ist 1945, wir sind froh, endlich ist der Krieg zu Ende. Die Not, wenig zu essen, (viel Steckrüben roh, gekocht oder in Lebertran gebraten) die Kaufhäuser leer, und gefroren haben wir auch. Nur, wir waren voller Hoffnung. Wir sahen Licht am Ende des Tunnels, es war offensichtlich kein entgegenkommender Zug. Das Licht war zwar klein, dafür aber die Hoffnung groß.
Da ich in einer sozialdemokratischen Familie aufgewachsen bin (Bruder meiner Mutter und der Bruder meines Vaters waren im KZ), bin ich 1946 gleich in die Gewerkschaft eingetreten. Wir arbeiteten für wertlose Reichsmark, das eigentliche Zahlungsmittel waren die Lebensmittelkarten und die Bezugsscheine, womit das Notwendigste erworben werden konnte, wenn es das denn zu kaufen gab. Schlagartig waren viele Waren sofort nach der Währungsreform 1948 (die Einführung der Deutschen Mark) in den Geschäften wieder zu bekommen. Artikel, die wir für (wertlose) Reichsmark produzierten, waren zurückgehalten (gehortet) worden, das brachte der Wirtschaft gute Gewinne und sie in Schwung.
Der Umtausch von der Reichsmark zu dem neuen Geld waren einmal 40,00 DM, ein zweiter Umtausch brachte 20,00 DM, sodass wir ein Startgeld von 60,00 DM hatten. Die Stundenlöhne für Arbeitnehmer waren 0,70 – 1,00 DM.
Wir waren voller Hoffnung, dass in der Wirtschaft wie in den staatlichen Organen sich etwas ändere, leider waren es nur Ansätze.
In der Wirtschaft war es die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Ahlener Programm der CDU); fiel Anfang der 50er Jahre wieder unter dem Tisch. Das Gleiche war die Entnazifizierung, durch die viele Nazis (weil man sie brauchte?) wieder im Staatsdienst unterkamen. Wir protestierten und ärgerten uns darüber, dass so viele Personen an der Entnazifizierung vorbeikamen, und dass sich viele Nazis gegenseitig deckten. Den Verdacht hatten wir damals schon, dass die Justiz so stark von Nazis durchsetzt war, kam erst vor ein paar Jahren ans Licht.
Da immer mehr bekannt wurde, was den jüdischen Menschen Schlimmes und Unmenschliches angetan wurde, wollte ich aus Solidarität dem jüdischen Glauben beitreten, wusste zwar nicht wie, und es wurde nichts, war wohl nur so eine Idee.
1951 war für mich ein Jahr, in dem sich viel tat, politisch und beruflich. Ich fing bei Siemens & Halske an, als Fernmeldemechaniker. Dass ich bis 1988 bei Siemens blieb, habe ich auch nicht gedacht. 1951 wurde ich Mitglied unserer Wohnungsgenossenschaft, ich übernahm das Siedlungshaus meiner Mutter, die 1948 verstarb. Meine aktivere politische Arbeit begann 1951, ich wurde Mitglied der SPD, der Grenzschutz wurde aufgebaut, für mich (und viele andere) ein erster Schritt zur Aufrüstung, deshalb wurde ich Mitglied der Kriegsdienstverweigerer. Da ich zum letzten Aufgebot der Nazis gehörte und zum Volkssturm gezogen wurde, war es für mich unmöglich, nach diesem schrecklichen Krieg diesem Elend zuzusehen, wie junge Menschen wieder zum Töten ausgebildet werden sollten. Meine Aktivität nahm zu, 1956 wurde ich Mitglied im Bundesvorstand und im Landesvorstand des VK (Verband der Kriegsdienstverweigerer).
Nach der großen Antiatomveranstaltung der SPD 1956, an der über 100 000 Bürger*innen auf dem Hamburger Rathausmarkt teilnahmen, wurde meine Tätigkeit in der Friedensbewegung noch stärker. Mit Hans Konrad Tempel (der angeregt durch den Aldermaston-Marsch 1959 in England, an dem K.T. teilnahm) bereiteten wir den ersten Ostermarsch 1960 in Norddeutschland vor. Anfang der 60er Jahre war ich einige Zeit der Leiter der Hamburger Ostermarscharbeitsgruppe, bin bis heute Teilnehmer.
Bis an mein Lebensende werde ich mich wohl um das politische Geschehen kümmern und meine Meinung einbringen, besonders wenn es um die soziale Gerechtigkeit geht. Das ist mein Leben.
Autor: Günter Lübcke