von Hansjörg Petershagen | Es war im Jahr 1957. Ich hatte das Wahlalter erreicht und konnte damit zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Dies neue bürgerliche Recht war für mich damals etwas ganz Besonderes und ist es bis heute geblieben. So wollte ich mich entsprechend vorbereiten, studierte die Programme der Parteien und besuchte Wahlversammlungen.
Besonders beeindruckt war ich vom Programm der SPD. Die Partei hatte ein Jahr zuvor in ihrem Godesberger Programm vom Klassenkampf Abschied genommen und sich als Partei der Mitte definiert. Daher besuchte ich als erstes eine Versammlung dieser Partei. Die Rednerin war Helene Wessel. Heute wohl weitgehend vergessen war sie damals eine prominente Politikerin. So hatte sie als eine von vier Frauen, den „Müttern des Grundgesetzes“, an der Ausarbeitung dieses Gesetzes mitgewirkt.
In ihrer Rede sparte Helene Wessel nicht mit Kritik an der Konkurrenz und besonders an der CDU. Ein Punkt fiel mir dabei besonders auf, und ich beschloss, ihm bei sich bietender Gelegenheit nachzugehen,
Diese Gelegenheit bot sich wenige Tage später. Diesmal nahm ich an einer Versammlung der CDU in Groß Flottbek, einem der ausgesprochen bürgerlich-konservativen Vororte Hamburgs, teil.
In der Diskussion meldete ich mich zu Wort. Meinen Beitrag begann ich mit den Worten: „Vorgestern war ich in einer Versammlung der SPD…“ Weiter kam ich nicht, denn ich wurde durch empörte Zwischenrufe zum Schweigen gebracht.
Diese Art, die Sympathie mit seiner Partei zum Ausdruck zu bringen, war dem Redner doch wohl zu viel. Er ermahnte sein Publikum, den jungen Mann doch ausreden zu lassen. So konnte ich dann meine Frage anbringen. Sie lautete: „In der Versammlung der SPD wurde gesagt, die CDU finanziere ihren Wahlkampf mit Zuwendungen aus der Industrie. Trifft dies zu?“
Meine Frage war dem Redner sicherlich nicht gerade angenehm, deutete sie doch eine Abhängigkeit seiner Partei von Teilen der Wirtschaft an. Er bestätigte, dass es solche Zuwendungen gäbe, fügte jedoch hinzu, diese seien an keinerlei Bedingungen geknüpft. Anschließend nahm die Diskussion einen ruhigen Verlauf und war bald beendet.
Mich hatte die Reaktion der Zuhörer*innen jedoch recht nachdenklich gemacht. Offensichtlich waren demokratische Verhaltensweisen wie das Anhören und Diskutieren verschiedener und auch nicht genehmer Ansichten und Tatsachen zumindest in Kreisen, denen dieses Publikum angehörte, noch nicht angekommen. Leider ist dies offensichtlich auch heute noch in anderen Zusammenhängen des Öfteren der Fall.
Autor: Hansjörg Petershagen