von Ingeborg Schreib-Wywiorski | Im Sommer 1943 zog meine Mutter mit meinem Bruder und mir nach Schönberg bei Wismar, aus Furcht vor den Bombardierungen in Berlin.
Ich war 6 Jahre alt und ging dort in die Dorfschule. Für mich als Stadtkind war jeder Schulweg ein Abenteuer voller neuer Erlebnisse und Entdeckungen. So führte mein täglicher Weg von dem Vorstadthaus, in dem wir bei Verwandten von Verwandten untergekommen waren, auf einem schmalen Sandweg an einem kleinen Bach entlang.
Während ich so allein vor mich hin trödelte, entdeckte ich plötzlich unterhalb der Böschung einen Mann, der ganz vertieft mit fuchtelnden Armen irgendetwas im Wasser oder am Ufer zu fangen versuchte. Was, das konnte ich nicht erkennen und das machte mich neugierig. Der Mann war nicht mehr ganz jung und trug, soweit ich das erkennen konnte, ziemlich abgetragene Kleidung. Er war auch keiner von uns, wohl einer von den fremden Arbeitern, die bei den Bauern einquartiert waren, dachte ich.
Kurzentschlossen hockte ich mich neben ihn und fragte, was er da mache. „Ich fange Frösche“, sagte er in gebrochenem Deutsch. „Warum denn?“ „Um sie zu essen“. „Kann man das denn?“ fragte ich entsetzt. „O ja“ sagte er, „bei mir zu Hause in Frankreich sind die Beine von Fröschen eine Delikatesse.“
Auch meine Mutter war entsetzt. „Du sollst doch nicht mit diesen fremden Arbeitern sprechen, die erzählen dir doch das Blaue vom Himmel herunter. Der Mann hatte bestimmt bloß Hunger.“
Also nahm ich mir vor, ihm mein Schulbrot zu geben, wenn ich ihn wiedersehe, damit er nicht diese ekligen Froschbeine essen müsse. Leider sah ich ihn nie wieder, aber nahm mir fest vor, der Sache mit den Froschbeinen eines Tages auf den Grund zu gehen.
Als der Krieg vorbei war und ich, zehn Jahre älter, das erste Mal in Paris, erkundigte ich mich und tatsächlich: Froschschenkel waren eine Delikatesse in Frankreich und ich esse sie seitdem für mein Leben gern.
Autorin: Ingeborg Schreib-Wywiorski