von Lisa Schomburg | Ich war fünfzehn, als der Krieg endlich zu Ende war. Wir Jugendlichen gingen oft nach Veddel. Dort hausten übrig gebliebene Soldaten in drei Baracken, die vermutlich in der Innenstadt bei der Trümmerbeseitigung eingesetzt wurden. Einige von ihnen spielten ein Instrument. Das sprach sich unter den jungen Leuten in der Umgebung bis Wilhelmsburg herum und es wurde getanzt. Sonst gab es ja nichts, wo man sich mal amüsieren konnte.
Ich hatte vorher schon Stunden in der Tanzschule Gerling am Berliner Tor genommen und beherrschte Tango, Walzer und Foxtrott. Hier konnten die meisten gar nicht oder nur schlecht tanzen. Ein Junge fiel mir auf, der immer mit seiner Mutter kam. Er sah gut aus, ein bisschen wie der Schauspieler Hans Söhnker. Er gefiel mir und wir tauschten oft Blicke, während wir mit anderen tanzten. Endlich forderte er auch mich auf. Leider tanzte er nicht besonders gut. Dabei fragte er mich: „Woher haben Sie eigentlich das niedliche Gesicht?“ Schlagfertig antwortete ich: „Vom lieben Gott!“ Er hieß Heinz und forderte mich nun oft auf. Mutig bat er: „Darf ich Sie Lisa ohne Fräulein nennen?“ Seine vornehme, schwarzhaarige Mutter tanzte allerdings nie, sondern saß nur am Tisch und trank Cola. Heinz wurde mein späterer Ehemann.
Gemeinsam mit Heinz und einigen anderen Jugendlichen zwischen siebzehn und neunzehn Jahren gründeten wir eine Art Jugendclub, den wir „La Paloma“ nannten. In einem großen ausgebombten Geschäftshaus mit offenen Fensterlöchern in der Nähe des Berliner Tors trafen wir uns regelmäßig und diskutierten, denn wir waren voller Pläne und wollten die Welt verbessern.
Eines Sommers unternahmen wir mit der „La Paloma“-Gruppe eine Zeltreise. Wir brachen mit dem Dampfer „Hugo Basedow“ an den Landungsbrücken auf, elbaufwärts nach Tesperhude. Wir hatten Zeltplanen, Spaten, Luftmatratzen, Kochgeschirr und alte Wehrmachtsdecken aus ehemaligen Soldatenlagern dabei. Auf einem Strandstück zwischen Elbe und Geesthügeln errichteten wir vier Zelte. Um Kartoffeln aufzutreiben, schwammen die Jungs im Dunkeln an das gegenüberliegende Ufer. Im Dunkeln deshalb, weil die Polizei häufig auf dem Wasser patrouillierte. Sie hatten zwar ein Schlauchboot dabei, aber schoben es schwimmend vor sich her, um nicht sitzend darin gesehen zu werden. In das Boot legten sie die Kartoffeln, die sie auf einem Feld ausgegraben hatten.
Um zu uns Wartenden zurückzuschwimmen, gingen sie erst etwa fünfhundert Meter elbaufwärts wieder ins Wasser, um die starke Strömung auszunutzen. Mit Taschenlampen gaben wir ihnen Lichtsignale, damit sie uns überhaupt wiederfanden.
Unterdessen hatten wir im Wald Holz gesammelt und ein Feuer angezündet. An drei zusammengestellten Ästen befestigten wir einen Topf und kochten darin die Kartoffeln. Wir aßen um das Feuer sitzend und später sangen wir. Zwei herrliche Wochen waren das! Uns war nie langweilig, irgendetwas gab es immer zu tun.
Es war eine arme, aber schöne Zeit! Endlich lebten wir ohne Angriffe und Angst. Hitler war tot, der Krieg vorbei. Und wir hatten uns und waren am Leben.
Protokoll: Corinna Feierabend