von Lisa Schomburg | Meine Mutter betrieb ein Geschäft für Tabakwaren und Konfitüren. Als ich dreizehn Jahre alt war, im Sommer 1943, schickte sie mich wieder einmal los nach Harburg, um Zigaretten zum Verkauf zu holen, die es gegen die Vorlage von Marken gab. Meine beste Freundin Gerda begleitete mich. Als ich die Stangen mit den Zigaretten erhalten hatte, kam mir die Schnapsidee, dass wir vor der Rückkehr nach Kirchdorf noch einen spontanen Ausflug in die Innenstadt unternehmen könnten.
Gesagt – getan. Wir befanden uns gerade in der Mönckebergstraße, als es Bombenalarm gab. Wie viele andere rannten wir zum Pressehaus in die Steinstraße. Zum Glück fanden wir Zuflucht im Keller des Gebäudes, wo sich bereits viele Schutzsuchende aufhielten. Schon kurz darauf gingen mehrere Volltreffer auf das Pressehaus nieder und wir waren über Stunden darin verschüttet. Durch die Explosionen ging das Licht aus und Kalk fiel von der Decke auf uns herab. Gerda und ich pressten die ganze Zeit die Zigarettenkartons an uns, wie um uns daran festzuhalten, während dicht neben uns stehende Menschen zusammensackten, vor Schreck oder weil sie ohnmächtig wurden. Wir wurden so durchgerüttelt, dass wir das Gefühl hatten, der dunkle Raum würde schwanken. Vor Angst habe ich mir in die Hose gemacht. Erst nach Stunden wurden die Trümmerbrocken oben beiseite geräumt und Helfer zogen uns, einen nach dem anderen, nach draußen.
Dort bot sich uns ein grauenhafter Anblick: In Reihen lagen Menschen, ob tot, verletzt oder bewusstlos, war nicht zu erkennen. Man sah auch kaum etwas, denn alles war voller Rauch und Flugasche von den dicken Zeitungspacken, die durch die Detonationen überall verstreut lagen und brannten.
Inzwischen waren bestimmt zehn Stunden vergangen. Wir wollten nur noch nach Hause, aber es fuhr gar keine Bahn mehr, denn auch der Hauptbahnhof war getroffen worden. Wir sahen die Gleise senkrecht hochragen. Doch irgendwie fanden wir den Weg und gingen zu Fuß zurück. Noch immer umklammerten Gerda und ich die Zigarettenkartons. Es wäre schlimm gewesen, wenn ich ohne sie nach Hause gekommen wäre. Überhaupt – nach Hause… Es wusste seit vielen Stunden niemand, wo wir uns aufhielten.
Erst spät in der Nacht kamen wir zu Hause an. Meine Mutter hatte wahnsinnige Angst um mich ausgestanden. Als sie die Tür öffnete, schrie sie mich an und ohrfeigte mich das erste und einzige Mal. Doch natürlich war sie überglücklich, dass mir nichts passiert war, obwohl sie über unseren Ausflug in die Stadt alles andere als erfreut war. Immerhin waren die Zigaretten nicht verloren gegangen.
Protokoll: Corinna Feierabend