von Claus Günther | Batzen? Ein Batzen ist ein Klumpen. Einst war es eine Münze, im Volkslied wurde sie verewigt: „Ein Heller und ein Batzen“. Der Begriff ist veraltet; wer 75 Jahre gelebt hat, ist auch alt geworden.
Mit 90 geht mein erster Blick zurück auf die unmittelbare Nachkriegszeit, über deren Entbehrungen wir Zeitzeugen oft gesprochen und geschrieben haben, dabei fällt mir auch meine Konfirmation ein. Wir waren nicht religiös in unserer Familie; Kirche und Glaube gehörten aus Tradition irgendwie mit dazu … Aber konfirmiert werden wollte ich auf alle Fälle! Es gab für mich dafür einen einzigen, wenn auch sehr triftigen Grund: Wer konfirmiert war, durfte lange Hosen tragen, und wer lange Hosen trug, hatte die Chance, mit „Sie“ angeredet zu werden.
Ich bin nicht groß. Damals war ich zu klein für mein Alter. Noch ein Jahr später, im Sommer, als ich bereits 16 war und eine kurze Hose trug, öffnete der Schaffner in der Straßenbahn die Klappe zum Kassieren in der Tür, erblickte mich und fragte: „Willst du einen für zehn oder wollen Sie einen für zwanzig?“ Gemeint waren Pfennige – der Preis für einen Fahrschein!
Wie gesagt: Die lange Hose war mir wichtig. Aber die Hürden waren hoch, denn zuerst verschnitt ein Schneider den Stoff für einen Anzug, weil er meinte, eine Weste gehöre nun mal dazu – doch dafür reichte der Stoff nicht, dann färbte meine Mutter eine englische Militärhose, doch die lief dabei ein. „Dann gehst du eben mit kurzer Hose“, sagte sie, doch das hätte ich nie und nimmer gemacht. Lieber wäre ich nicht konfirmiert worden! Letzter Ausweg: Die lange weiße Tennishose von Onkel Hans. Die wurde schwarz gefärbt (ich hätte sie auch weiß genommen). „Sitzt! Passt!“
Zum Konfirmanden-Unterricht meldete ich mich in der Heimfelder Pauluskirche an. Die liegt nahe dem Gymnasium, meiner damaligen „Oberschule für Jungen“. Als ich in der Kirche vorsprach, war vor mir ein Junge, den ich aus der Kinder-Landverschickung flüchtig kannte. „Vorkonfirmand?“ „Nein, Konfirmand“, sagte der. „Ich hatte bereits Unterricht in der KLV.“ „Ich auch“, sagte ich schnell. „Wir waren im selben Lager.“ Letzteres stimmte sogar, aber Unterricht hatten wir dort beide nie gehabt. Jetzt hatten wir ihn hier durch Lügen verkürzt, der Himmel möge uns verzeihen.
Ich hatte mir angewöhnt, im Konfirmanden-Unterricht mit dem Stuhl zu kippeln. Dummerweise saß ich in der ersten Reihe. Der Knabe hinter mir setzte eines Tages seine Füße unter meine beiden schwebenden Stuhlbeine und platsch!, fiel ich dem Pastor vor die Füße. Wir bekamen beide eine Strafarbeit aufgebrummt, aber konfirmiert wurden wir trotzdem: Ostern 1946.
Und dann ging es ans Feiern! Aber womit, „wenn es nichts gibt?“ Meine Mutter hat Fleisch aufgetrieben und Bohnenkaffee, soviel ich weiß. Vielleicht gab es auch Schnaps. Für mich aber gab es Geld. Viel Geld – 500 Reichsmark. Was hätte man davon alles kaufen können, früher! 1946 aber war es nicht viel wert. Und dennoch fühlte ich mich „reich beschenkt“. Ich verließ die Gäste, ging auf die Veranda von Omas Häuschen, öffnete die Haustür, stellte mich an die Brüstung der Treppe und wusste: Bald würde jeder und jede Erwachsene „Sie“ zu mir sagen, ob mit, ob ohne lange Hose. Dann wäre auch ich erwachsen.
In meinem Konfirmations-Gedenkblatt steht ein Denkspruch:
1.Petr. 4. 10:
Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes
Ich kann mir Vielerlei darunter vorstellen. Sogar Zeitzeugenarbeit.
Autor: Claus Günther